Im Jahr 2040 haben wir die menschliche Intelligenz um das Milliardenfache gesteigert. Was wie ein Auszug aus einem Science Fiction-Buch klingt, ist in Wirklichkeit die Aussage von Raymond Kurzweil - einem Transhumanisten und Director of Engineering bei Google. Kurzweil sieht die technologische Entwicklung exponentiell steigen und prophezeit die Verbindung von Mensch und Maschine. Dass das keine Fiktion, sondern ernstgemeinte Prognose ist, das hat Martin Ganteföhr fasziniert. Martin ist Narrative Designer für das Spiel "State of Mind" von Daedalic Entertainment - und beschäftigt sich mit dem Thema Transhumanismus.
Quelle: Daedalic Entertainment
Die futuristischen Prognosen von Raymond Kurzweil werden im Point&Click-Adventure "State of Mind" Realität: Im Jahr 2048 ist es endlich möglich, sein Bewusstsein in eine virtuelle Utopie zu verlagen - in City 5. Dieser Upload geht bei Protagonist und Transhumanismus-Gegner Richard Nolan allerdings ordentlich schief. Durch die gescheiterte Übertragung wird Richard in zwei Persönlichkeiten geteilt: sein reales Ich im Berlin des Jahres 2048 und seine virtuelle Kopie in City 5. Neben der Vergangenheit von Richard, einer zerissenen Familie und die ethischen Fragen des "künstlichen Menschens" geht es hauptsächlich um den Geisteszustand von Richard - seinen "State of Mind".
Interview mit Martin Ganteföhr - Narrative Designer bei Daedalic Entertainment
Niko: Dein aktuelles Projekt "State of Mind" handelt von Transhumanismus, also der Veränderung des Menschen durch Technologie. Im Jahr 2048 geht bei Protagonist Richard der sogenannte „Mind Upload“ gründlich schief – und teilt ihn in zwei parallel existierende Personen. Deckt „State of Mind“ so die Risiken und Potentiale des Transhumanismus gleichermaßen ab?
Martin: Es ist ja mit aller Technologie schon immer so gewesen: Sie wird gleichermaßen als Bedrohung und als Heilsversprechen empfunden – meistens ist sie keins von beidem. Für jede Technologie, und auch jedes Medium, gibt es aber immer die Befürchtung und das Versprechen. Ich glaube beim Transhumanismus macht es viel Sinn, auch das Versprechen zu zeigen. Ich habe bei "State of Mind" zum ersten Mal das Gefühl, dass es zu einfach wäre, sich auf eine Seite zu stellen. Ich meine, was wäre an der Unsterblichkeit so schlecht?
Niko: Du hast bereits mehrere Spiele mit politischen Hintergründen produziert. Im 2005 erschienenen Action-Adventure „The Moment of Silence“ portraitiertest du den elektronischen Überwachungsstaat. Wie hat deine persönliche Meinung zum Thema Transhumanismus die Geschichte von „State of Mind“ beeinflusst?
Martin: Es ist wünschenswert für einen Autor, nicht jeden Charakter mit seiner Stimme sprechen zu lassen. Aber alle Sachen, die ich mache, haben auch immer einen biographischen Einfluss von mir selbst. Und natürlich habe ich auch eine Meinung zum Thema Transhumanismus. Noch vor zehn Jahren hätte ich da eine dystopische Zukunft prophezeit. Das ist ein Thema, über das es viele Fragen gibt und über das man einfach reden sollte. Man muss sich ansehen, was dort passiert und mit uns passiert. Wir müssen einschätzen, ob wir da nicht den Geist aus der Flasche lassen und ihn danach nicht mehr reinbekommen. Das hat wirklich apokalyptisches Potential und deswegen muss darüber gesprochen werden.
Niko: Du bist jetzt seit 20 Jahren in der Videospielentwicklung tätig. Am liebsten arbeitest du an Spielen mit, die von einer starken Geschichte getragen werden. Legt jeder deiner Kollegen so viel Wert auf die Story?
Martin: Es gibt verschiedene Entwicklungsphilosophien. Wenn man glaubt, dass die Story ein wichtiger Punkt ist, dann braucht sie auch Fokus und Gewicht – so mache ich das. Aber man kann natürlich auch einen anderen Standpunkt einnehmen und auf die Spielmechaniken setzen. Da wird dann danach geschaut, welches Kostüm man in Form einer Story drum herum baut. Auch diese Leute machen grandiose Spiele! Ich kann das alles gut verstehen – es ist nur nicht die Richtung, in der ich arbeite. Mit Game Designern befindet man sich in einem Spannungsverhältnis – aber Unrecht haben sie nicht. (lacht)
Martin Ganteföhr ist seit inzwischen 20 Jahren als Entwickler und Unternehmer in der Videospielbranche tätig. Er hat ein Faible für komplexe Geschichten und versucht, auch ernste Themen in seinen Spielen anzusprechen. Martin war zwölf Jahre lang CEO des Entwicklerstudios House of Tales und arbeitet aktuell als Narrative Designer an "State of Mind".
Niko: Viele Publisher legen weniger Wert auf die Story, da sie sich schwer mit Verkaufszahlen in Verbindung bringen lässt. Hast du ähnliche Hindernisse bereits in deiner Karriere erlebt?
Martin: Ich bin da eigensinnig. Auch ich mache Dinge falsch und weiß, dass es schwierig ist, diesen Arbeitsschwerpunkt zu haben. Man muss schon sehr viel richtig machen, damit ein „story driven Game“ überhaupt funktioniert - ansonsten kann es kommerziell schon schwer werden. Natürlich wurde ich in der Vergangenheit auch mal auf Probleme hingewiesen und habe dann gesagt: „Nein, wir machen das trotzdem so.“ Und hinter musste ich mir das dann jahrelang anhören. (lacht) Es ist aber das Wesen von kreativer Arbeit, Risiken einzugehen. Kritische Stimmen gibt es und mit denen muss man umgehen - und ihnen auch mal zuhören, wenn es stimmen könnte.
Niko: Kreative Arbeit braucht Leidenschaft. Gibt es Ergebnisse, die dich jeden Tag aufstehen und seit 20 Jahren Geschichten erschaffen lassen?
Martin: Ich habe eine kindliche Freude daran, mir Aufgaben zu stellen, die immer etwas schwerer sind als das, was ich glaube bewältigen zu können. Dann arbeite ich auf sie hin und schaffe es. Das finde ich einfach gut.
Niko: In der Videospielentwicklung zu arbeiten ist für viele ein schwer zu erreichender Traumberuf. Was muss man mitbringen, um „Narrative Designer“ zu werden?
Martin: Das ist eine interessante Frage, zu der ich ständig schrecklich abstrakte und unspezifische Antworten wie „Glaub an dich selbst!“ lese. Ich kann die Leute verstehen, die so antworten. Es ist ein so hochdynamisches Feld! Der Markt wälzt sich innerhalb von Jahren komplett um: Imperien, Plattformen, Hypes, Technologien und Vertriebskanäle kommen und gehen. Alleine deshalb kann niemand eine spezifische Antwort geben, die lange Bestand hat.
Stattdessen braucht man ein Grundreservoir an Kreativität, eine Affinität zum Erzählen. Auch Interesse an benachbarten Medien muss da sein. Nicht den ganzen Tag nur Games spielen: Ich würde auch mal ein Buch lesen, mal einen Film schauen, oder vielleicht auch fünf! Und so beobachtet man andere Menschen und wie sie ihre Geschichten erzählen – und wie man davon lernen kann.
Ansonsten gilt auch „Glaub an dich selbst“: Beschaff dir analytische Fähigkeiten, lern analytisch zu denken, studier an einer Gaming-Hochschule, rede mit Leuten aus dieser Disziplin. Auch als Narrative Designer muss man mal mit Entwicklern reden und fühlen, was möglich ist und was nicht. Denn man muss sich darauf einstellen, in einem Team zu arbeiten und nicht nur machen zu können, was man will.
Man braucht Kenntnisse und eine gewisse Demut davor, was man nicht machen kann. (lacht)
Niko: Vielen Dank für das Interview!
Martin: Ich danke dir.
State of Mind erscheint Anfang 2017 für den PC, Playstation 4 und Xbox One und bietet eine etwa 20-stündige Story.
Alle weitere Infos zum dystopischen Point&Click-Adventure gibt es bei Daedalic Entertainment.
Wer wollte nicht schonmal aus romantisierten Vorstellungen heraus Game Designer oder Game Developer werden? :D Ich mach das lieber als Hobby, dann bin ich niemandem verpflichtet und kann den Spaß dabei behalten. Etwas Kreatives zu erschaffen ist immer ein tolles Gefühl, ob man sich eine Geschichte ausdenkt oder ein Spielkonzept erarbeitet. Ich kann jedem, der selber irgendeine Idee hat, nur empfehlen einfach mal loszulegen und rumzuprobieren.
Ja, hast schon recht, Lorgi. Das wichtigste ist eben nicht eine Idee zu haben. Viele haben gute Ideen. Das Umsetzen ist das entscheidende. :)
Grüße hamu