Chris Metzen: Der Donnergott verlässt den Olymp

Der Blizzard-Weltenerschaffer und Senior Vice President of Creative Development, Chris "Thundergod" Metzen, verabschiedet sich mit 43 Jahren in den selbst gewählten Ruhestand. Wir blicken auf eine einzigartige Karriere, die mit einer Zeichnung auf einer Serviette in einem Metal-Schuppen ihren Anfang nahm.

Gerrit 01.10.16

Arthas, Thrall, Leoric, Deckard Cain und Sarah Kerrigan - nachdem Chris Metzen fast 25 Jahre lang für Blizzard heroische Charaktere entwickelt hat, ist seine persönliche Heldenreise am 12. September zu Ende gegangen. Auf eigenen Wunsch beendete er die Zusammenarbeit bei Blizzard, er spricht in diesem Zusammenhang explizit von "Ruhestand" und nicht von "Jobwechsel". Alles andere wäre schwer vorstellbar angesichts der nahezu symbiotischen Beziehung zu dem Spielgiganten, dessen Erfolgsgeschichte er maßgeblich geprägt hat.

Der erste Kontakt

Christopher Vincent "Chris" Metzen stammt aus einer Ära, als Computerspielen noch gedruckte Anleitungen beilagen. Das ist auch mein persönlicher Berührungspunkt mit seiner Arbeit. Es ist 1995 und (ich kaufe mir den auf den ersten Blick etwas zu bunten und comichaften Command-&-Conquer-Klon "Warcraft II: Tides of Darkness". Das Fantasy-Setting schreckt mich eher ab, aber die Wertungen sind außerordentlich gut und im Gegensatz zur Konkurrenz von Westwood läuft das Spiel in knackscharfen 800X600 Pixeln. Die anfängliche Skepsis verfliegt, als ich die liebevoll gestaltete Anleitung studiere. Die für ein damaliges Computerspiel unglaublich detaillierte Hintergrundgeschichte ist mit zahlreichen faszinierenden Illustrationen angereichert, die mich perfekt auf das Abenteuer in Azeroth einstimmen. Die Story, kombiniert mit einfachen aber prägnanten Skizzen, beflügelt meine Fantasie. Und überall entdecke ich diese urdeutsch klingende Signatur "Metzen".

Träume auf Papierservietten

Warcraft II bedeutet für Chris Metzen den Durchbruch bei Blizzard. Seinen Einstieg in das blutjunge kalifornische Startup verdankt der damals 19-jährige seinem Zeichentalent und seiner Liebe zur Musik. "Es war kompletter Zufall", erklärt er in einem Interview mit cecilvortex.com. "Ich sang in ein paar Metalbands und fand das einfach großartig. Für mich war klar, dass das genau mein Ding war, nachdem ich ein paar Jahre aus der Schule raus war. Eines Abends spielten wir einen Gig in einem Club und ich glaube, ich habe einen kleinen Drachen auf eine Serviette gekritzelt. Dann kam dieser Typ rein und sagte: 'Hey, das ist wirklich gut. Hast du jemals über's Zeichnen nachgedacht? Ich kenne da einen Laden, der Leute einstellt.' Und er gab mir eine Karte auf der stand 'Chaos Studios'." Aus "Chaos Studios" wurde schnell "Blizzard" und Metzen beginnt seine Karriere als Animator für den gefloppten SNES-Streetfighter-Klon "Justice League Task Force". "Ich sollte Batman animieren und hatte keinen Schimmer von Animation".

Zeitgleich beginnt Blizzard die Arbeit an einem weiteren Projekt. Wieder widmet sich die Kalifornier einem beliebten Genre. Der Nachfolger zu ihrem Command-&-Conquer-Klon Warcraft entwickelt sich rasch zu einem Referenztitel im RTS-Genre und markiert den Durchbruch für Blizzard als Unternehmen. Und Metzen trägt daran entscheidenen Anteil.

Ladderrush

"Senior Vice President of Creative Development" lautet sein offizieller Titel zuletzt bei Blizzard Entertainment. Seine eigene Jobbezeichnung fällt mit "Head Creative Dude" wesentlich unprätentiöser aus. In diese Position rutscht er durch seine Arbeit an "Warcraft II - Tides of Darkness". "Ich schrieb ein paar Kapitel darüber, was zwischen beiden Teilen passiert sein und das Sequel einleiten könnte. Irgendein Designer hat das wohl ohne mein Wissen unserem Chef gesteckt und im nächsten Meeting sagte er dann: 'Oh, und übrigens, Chris ist unser neuer Designer bei Warcraft II'. Metzen durchläuft damit eine prototypische Startup-Erfolgsgeschichte, in der sich Tätigkeits- und Verantwortungsbereiche in Sekundenschnelle ändern können. Aus einem Pen-and-Paper-Nerd, der Dungeons and Dragons und Dragonlance spielt und bei Blizzard eine einzelne Figur animieren darf, ist plötzlich der Verantwortungsträger für die gesamte Mythologie und die Story eines Spiel geworden. Darüber hinaus agiert er im weiteren Verlauf als Voice-Actor, verfasst Kurzgeschichten, desgined Missionen und steuert Artwork bei.

Optimierer statt Innovator

Wenn man Chris Metzen fragen würde, was er davon hält im Titel dieses Artikel als nordischer "Thundergod" in den griechischen Olymp verfrachtet zu werden, hätte er damit höchstwahrscheinlich am wenigsten Probleme. "It's great. It's a spin!" Metzens Erfolgsgeheimnis besteht darin, innovative Ideen weiterzuentwickeln und für den Massenmarkt zu optimieren. Er scheut radikale Neuentwürfe und variiert stattdessen bekannte Versatzstücke, mit denen sein Publikum bereits vertraut ist. Er nennt diesen Prozess "Spin". Die Welt von Warcraft ist beispielsweise bevölkert mit hinlänglich bekannten Archetypen - Menschen, Zwerge, Orks und Elfen gehören zum Standardrepertoire jeder Fantasy-Welt. Was aber wäre, wenn die Orks keine eindimensionale Bedrohung wie bei Tolkien seien, sondern Verstand, Motive und moralische Grauzonen besäßen? Und warum sollten Elfen eigentlich unfehlbare Halbgötter sein? Was wäre wenn sie irgendwann abhängig von ihren magischen Fähigkeiten geworden sind und moralisch korrumpiert wurden?

Chris Metzen auf der BlizzCon 2009 von James Thomas, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Genauso verhält es sich im Starcraft-Universum: Die Bezüge zu Werken wie "Aliens", "Krieg der Welten", "Enders Game" und "Starship Troopers" sind offentlich, zudem scheint das Design der Zerg und Terraner direkt aus Warhammer 40000 (WH40k) übernommen zu sein. Interessanter wird es bei der Konzeption der Protoss. Auch sie haben Bezüge zu den Eldars aus WH40k und der Psychic Warriors aus "Dungeon and Dragons", doch ihre edelmütigen Ideale rund um Ehre, Stärke und Heldenmut können blitzschnell in eine arrogante Blut- und Bodenrhetorik, inklusive Herrenrassenattitüde umschlagen. Im besten Fall kreiert Metzen so archetypische Helden und Welten, die gleichzeitig vertraut und originell wirken.

Massentaugliche Individualität

Genau diese Mischung aus massentauglicher Individualität ist der entscheidende Erfolgsfaktor, der Metzen mit seinem einstiegen Arbeitgeber Blizzard verbindet. Auch der Blockbusterlieferant aus Kalifornien greift innovative Ideen eher auf und macht sie massenmarkttauglich, statt sie selbst zu entwickeln. "Wir kommen nicht notwendigerweise mit den abgefahrensten neuen Konzepten. Unsere Spiele basieren auf Sachen, die wir selbst gerne zocken", so Metzen. Selbst scheinbar innovative Titel wie Diablo oder World of Warcraft basieren auf Vorbildern wie Moria, Angband, Everquest II, oder ganz aktuell Team Fortress II. Leute, die Blizzard heute vorwerfen, mit Spielen wie "Hearthstone", oder "Heroes of the Storm" im Grund nur Trends hinterherzuhecheln, statt sie selbst zu setzen, verstehen Blizzards Firmenpolitik nicht. Auch Warcraft und Starcraft haben das RTS-Genre weder erfunden noch revolutioniert. Sie haben es perfektioniert. "Wir denken uns: Alter, wie cool wäre es, selbst eins von solchen Spielen zu programmieren. Wir könnten X, Y, Z ein bischen besser, klarer machen, das ein wenig vereinfachen und mit der grundsätzlichen Idee Spaß haben. So entwickeln wir normalerweise unsere Projekte." Metzen bringt hier nicht nur den Schlüssel für Blizzards enormen Erfolg im AAA-Mainstreamsegment auf den Punkt, er beschreibt gleichzeitig auch seine eigene Arbeitsweise. So entwickelt er in den 1990er-Jahren den narrativen Unterbau zu Blockbustern wie "Warcraft" (1995), "Diablo" (1996) und "Starcraft" (1998), der auch das Fundament für deren Nachfolger bildet. Erst mit dem Megaseller "World of Warcraft" beginnt sich seine Arbeit zu ändern.

Für den Schwarm

Aus dem Geek, der seine Ideen zu Papier bringt, ist ein Herbergsvater geworden, der die Ideen anderer zu einem großen Ganzen formt. "Meine Arbeitsweise sieht mittlerweile so aus: Ich werfe eine vage Idee in den Raum und sage: 'Hierhin möchten wir, das ist der grobe Entwurf.' Und dann sitzen mein wunderbares Team und ich zusammen und jammen. Wir entwickeln eine größere Vision. [...] Es gibt eine einzigartige Chemie und die Jungs greifen meine Ideen auf und tragen sie dann bis zur Touchdownlinie." Chris Metzen hat sich immer als Teil eines größeren Ganzen gesehen und ist sich sehr wohl darüber bewusst, dass seine Stories die Spiele von Blizzard eher tragen, als dominieren sollen. Gleichzeitig lässt er durchblicken, die guten alten Tage zu vermissen: "Ich bin mittlerweile eher der Architekten-Mentor, als der Frontkämpfer. Das ist defitiniv nicht so befriedigend in künstlerischer Hinsicht", sagte er im Gespräch mit 1up.com. Ab Anfang der 2010er-Jahre entwickelt sich seine Rolle dann zu einem Elder Statesman. Er liefert einen Charakter bei Blizzard neusten Hit "Overwatch" (Soldier: 76) und übernimmt ein Cameo in der Verfilmung von "Warcraft".

Chris Metzen verlässt seine, wie er Blizzard nennt, "zweite Familie", um sich stärker seiner richtigen Familie widmen zu können. Im Blizzard-Forum schrieb er „Rund 23 Jahre lang hatte ich das Privileg, mit einigen der hellsten und kreativsten Köpfe der Industrie Welten formen und Spiele entwickeln zu können. Ich ging Seite an Seite mit Giganten." Nun ist seine Familie mit inzwischen zwei Kindern an seiner Seite. Wir hoffen, dass er Nerd bleibt und seine Kinder einen ordentlichen Schuss Kreativität von ihrem Vater erben. "Mit ihnen allen zu Hause zu sein, Zeit und Raum zu haben, um wirklich zu leben, meine Frau mit all meiner Hingabe zu lieben, das ist jetzt meine Berufung."

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Autor: Gerrit

Starcraft-Fanboy der ersten Generation, der trotzdem nie über die Platinliga hinausgekommen ist... aber inzwischen wunderbar damit leben kann. Ich suchte Sport und eSport und interessiere mich vor allem für die Wechselwirkungen zwischen beiden.

2. Oktober 2016 - 2:01
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Lorgi
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05.09.2018 - 18:51
26.04.16
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Blizzard-Spiele und ihre Geschichten haben mich fast mein ganzes Leben lang begleitet (seit ich 6 war). Damals habe ich sie nicht wirklich verstanden, aber das kam dann mit der Zeit und den Englischkentnissen :) Und ich habe jedes einzelne Spiel geliebt - und seine Handbücher gelesen! Das Handbuch von Diablo 1 war der Wahnsinn. Dass soetwas heute gar nicht mehr gemacht wird ist so schade :(

Einen "echten" Berührungspunkt hatte ich damals, als man bei WoW zu einem Weihnachtsevent ein Reittier namens "Metzen das Rehntier" erhalten konnte :D