Wenn man im eSport von einem alten Game redet, meint man damit meist Titel wie Starcraft: Brood War. Mehr als 15 Jahre hat dieser Videospiel-Dino mittlerweile auf dem Buckel und erfreut sich trotz stetigem Rückgang der Preisgelder weiterhin großer Popularität. Sucht man jedoch außerhalb der virtuellen Welt, findet man Spiele, die über diese Zeitspannen nur lächeln können. Zu den wohl ältesten dieser Klasse zählt ohne Zweifel das Brettspiel Go. Über 2000 Jahre ist dieser Dauerbrenner mittlerweile alt und wird immernoch von bis zu 60 Millionen Menschen weltweit gespielt.
Dass diese Spanne für ein Videospiel nahezu unmöglich scheint, ist schon durch das Alter des Mediums Computer naheliegend. Doch was wäre, wenn die Technik keine wesentliche Rolle mehr spielen würde? Wenn es nurnoch um das Spiel an sich und nicht mehr um dessen Auflösung gehen würde? Wenn wir uns diesem Gedankenexperiment stellen, kommt früher oder später eine Frage auf - Was müsste ein Videospiel mitbringen, um ähnlich wie Go nahezu ewig zu leben?
Frühe Aufzeichnungen eines Go-Duells, in China unter dem Namen "Weiqi" bekannt.
Aus alt mach neu
Um dieser Überlegung auf den Grund zu gehen, sollte man sich Go genauer ansehen. Ursprünglich in China unter dem Namen "Weiqi" - was so viel wie Umzingelungsspiel heißt - entwickelt, fand es bereits früh weite Verbreitung. Das Ziel ist dabei, mithilfe von Steinen auf einem 19x19 Brett mehr Gebiet als sein Gegner zu umschließen. Besonders im gebildeten Beamtentum, aber auch in der restlichen Bevölkerung erfreuten sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus immer mehr Leute an diesem strategisch anspruchsvollem Spiel. Als es im sechsten Jahrhundert auch am Kaiserhof zum beliebten Zeitvertreib aufstieg, erlebte Weiqi seine erste Blüte. Seinen im Westen weiter verbreiteten Namen Go, verdankt es dem Export nach Japan, wo es unter eben diesem Namen bekannt wurde. Hier wurde es besonders während der Shogun-Zeit, also ab dem frühen 17ten Jahrhundert, stark gefördert, da der damalige Herrscher ein großer Freund des Spiels war. Durch diese starke Förderung entwickelte sich das Land der aufgehenden Sonne zu einem Vorreiter in Sachen Taktik, Eröffnung und Theorie. Seit Mitte des 20ten Jahrhunderts erlebt das Go-Spiel eine neue Renaissance und erfreut sich auch außerhalb Ostasiens immer größerer Beliebtheit.
Und das aus einem guten Grund: Das Spiel macht Spaß, egal auf welcher Könnensstufe. Die richtige Mischung aus "einfach zu lernen" und "schwer zu meistern" ist für ein Spiel, das lange Bestand haben will, essentiell. Neben dem Spielspaß (dem wir bereits einen ganzen Artikel gewidmet haben), bildet daher vor allem die Spieltiefe einen entscheidenen Faktor. Bei Go sind die Regeln in 30 Minuten erklärt, aber die Möglichkeiten sind so vielfältig, dass selbst Großmeister nicht immer den besten Zug erkennen. Hier hat aber auch schon Brood War für folgende eSport-Titel Maßstäbe gesetzt. Mineralien, Einheiten und Basis sind schnell erklärt, auch wenn die ersten Kämpfe auf dem Schlachtfeld wie bei jedem Spiel holprig sind. Trotzdem können auch unerfahrene Spieler schnell erste Erfolge erzielen und haben Spaß an Terran, Zerg und Protoss.
Easy to learn, hard to master - Auch bei dem uralten Klassiker "Go" trifft dies zu.
Quellen: Chad Miller - Go Stones / włodi - Controller
Hier zeigt sich aber auch schon ein erstes Manko von bisherigen eSport-Spielen: Es mangelt an dauerhafter Tiefe. Was zuerst nach einem ungeheuren Vorwurf klingt, ist in Wahrheit ein realistisches Problem. Selbst beim bisherigen Überlebensprimus ist das Metagame langsam an seine Grenzen gekommen. Neue Taktiken sind rar und so bildet die Anzahl an möglichen Strategien ein begrenztes Feld an Spielabläufen. Dies führt nach einer gewissen Zeit - im Fall von Brood War knapp 15 Jahre - zu einer gewissen Stagnation, die Innovationen vermissen lässt. Die Möglichkeiten des Spiels sind nahezu ausgereizt und Partien scheinen sich zu wiederholen. Da Go erst endet, wenn beide Spieler praktisch keine Möglichkeit mehr besitzen Punkte zu gewinnen, bzw. dem anderen wegzunehmen, kann allein der finale Stand ca. eine Milliarde verschiedene Positionen einnehmen. Die Wege dorthin sind wiederrum so vielfältig, dass selbst Computer nicht in der Lage sind auf rechnerische Art die besten Profispieler zu schlagen (Bei Schach ist dies bereits seit Jahren der Fall). Wenn ein eSport-Titel daher langfristig neues und erfrischenes Gameplay liefern will, wird vor allem eine unglaubliche Fülle an Möglichkeiten nötig sein um die Kreativität seiner Spieler zu fordern.
Diese unheimliche Fülle an Möglichkeiten ist schwer zu erreichen und wird auch Entwickler der Zukunft noch vor immense Herausforderungen stellen. Wenn wir als eSportler jedoch in den Genuss einer solchen Software kommen sollten, wird es auch an uns liegen, das Spiel am Leben zu erhalten. Spiele brauchen, ähnlich wie die menschliche Evolution, Innovatoren die ihr Potenzial ausschöpfen und Grundaussagen in Frage stellen. Hier kann ebenalls das Spiel mit den Steinen als Vorbild dienen. Bis vor knapp 80 Jahren war es eine scheinbar unumstößliche Wahrheit, dass man erst Gebiet in den Ecken, dann an den Kanten und zuletzt in der Mitte erobert. Diese Aussage beruht darauf, dass es am einfachsten ist ein Gebiet zu umschließen, wenn bereits 2, bzw. eine Seite vom Spielbrett begrenzt sind. Eine Gruppe von jungen Profis rund um 'Go Seigen' zeigte jedoch, dass es durchaus lohnt diese Regel zu vernachlässigen, um früh Gebiet in der Mitte abzustecken. Ein Ruck ging durch die Go-Welt und heutzutage gilt der Anführer dieser Revolution als einer der größten Spieler aller Zeiten, dessen Innovationen die Spielweise dauerhaft veränderte. Dies zeigt umso mehr, dass eine kritische, immer wieder neu denkende Community der größte Segen ist, den ein Spiel haben kann.
Wenn ein eSport-Spiel also jemals die Spieltiefe für eine solche Entwicklung besitzen sollte, haben wir als Konsumenten ebenso großen Anteil am Erfolg wie die Entwickler selbst. Dies wird allerdings nur möglich sein, wenn auch die Balance des Spiel stimmt. Die Optionen für beide Parteien müssen also entweder sehr vielfältig, wie beim Go oder nahezu gleichwertig sein. Dabei muss nicht von Anfang an alles perfekt sein. So musste auch das Spiel der Steine erst noch Fairness lernen, denn wer anfängt, ist klar im Vorteil. Daher wurden später sogenannte Komi - Strafpunkte - eingeführt, die dafür sorgen, dass der Starter mehr Gebiet machen muss um den Vorteil auszugleichen. Diese Entwicklung ist lange noch nicht abgeschlossen und so wird noch heute über die Höhe dieser Strafpunkte diskutiert. In der eSport-Welt hat Brood War bereits gezeigt, was als Referenz gelten muss. Terran, Zerg und Protoss hatten für jede Aktion mindestens eine Reaktion und konnten sich so im Laufe des Spiels ausgeglichene und faire Matches liefern. Dabei ist es keine Schande, wenn noch lange nach Release gewisse Regeländerungen gemacht werden müssen. Anpassungen in der Balance sind immer wünschenswert, solange sie das Spiel nicht verfremden. Fairer Wettkampf kann daher nur dort stattfinden, wo auch das Regelwerk bzw. das Gameplay fair ist.
Tom Clancy's: The Division verspricht völlig neue Grafik-Welten. Quelle: gamespot.com
Ebenso richtungsweisend war schon damals das Design, denn jeder weiß: Das Auge zockt mit. Dabei ist wie bereits am Anfang gesagt, nicht die Auflösung entscheidend, sondern die Stimmigkeit des Spiels allgemein. Einfache schwarze und weiße Steine auf einem schlichten Holzbrett haben sich seit Jahrtausenden keiner Frischzellenkur unterzogen und überzeugen immernoch mit ihrem Look. Ähnliche Schlichtheit ist von einem Videogame allerdings nicht zu erwarten. Besonders Computerspieler mögen extravagantes Aussehen und knackige Optik. Wenn also die Grafik kein Problem mehr darstellt, muss der Stil des Spiels unter Beweis stellen, dass er auch langfristig frisch bleibt. Dabei darf die Inszenierung allerdings - wie es bei Starcraft der Fall sein kann - nicht dem Wettbewerb im Weg stehen, da dies den eSport-Charakter des Spiels langfristig schaden kann. Da Auflösung, Effekte und Kantenglättung jedoch noch zu 100% der Technik unterliegen, werden wir erst dann über einen zeitlosen Stil diskutieren können, wenn wir die Spitze dieser Entwicklung erreicht haben. Spiele wie Tom Clancy: The Division zeigen aber dieses Jahr schon, dass das schon früher der Fall sein könnte, als wir uns vorstellen.
was die zukunft bringen muss
All diese Faktoren und noch viele mehr werden die Wege kommender eSport-Titel bestimmen und die Szene weiterentwickeln. Besonders neue Konzepte werden zeigen müssen, dass Videogame-Spieltiefe nicht hinterherhinkt. Starcraft, Dota und Co. haben zwar bereits bewiesen, dass sie fairen und spannenden Wettbewerb bieten können, aber langfristig werden auch sie vom Markt verschwinden. Dies ist auf absehbare Zeit das Schicksal jedes Titels und hat bereits Größen wie Quake, Painkiller und Warcraft zumindest zeitweilig zu Fall gebracht. Nachfolger halten die Serien frisch, aber ob dies bis zum Erreichen des technischen Knackpunkts reicht, ist noch mehr als fragwürdig.
Sollte der eSport aber seinen Weg zu einer etablierten Sportart fortsetzen, könnte sich auch die Lebensdauer drastisch erhöhen. Denn Akzeptanz heißt vor allem, dass auch aktive Förderung und Interesse aus der breiten Masse deutlich zunimmt. So würden auch die Zuschauer- und Spielerzahlen weiter explodieren und wettbewerbsorientiertes Gaming endlich in der Mitte der Gesellschaft ankommen. In der Regel gilt jetzt schon: Je größer die Fangemeinde, desto langlebiger das Spiel. Brood War hat bereits gezeigt, dass unabhängig von technischer Weiterentwicklung Popularität den eSport auf hohem Niveau halten kann. Dass Deutschland aktuell weit von diesem Verbreitungsniveau entfernt ist, zeigt die noch stiefmütterliche Art mit der unsere Leidenschaft in den Medien behandelt wird. Zwar erschließen großen Zeitungen langsam diesen neuen Grund, aber speziell im Fernsehen fehlt es noch stark an Verbreitung und Event-Abdeckung.
Der eSport füllt weltweit gigantische Stadien - mit einer stetig wachsenden Fanbase.
Wenn wir eines goldenen Tages aber die Zeiten einer wettkampfbegeisterten Zockergesellschaft erleben sollten, scheint das Szenario eines 'ewigen eSport-Titels' immer wahrscheinlicher. Auch Go hat Hoch- und Tiefzeiten erlebt, aber immer wieder zu neuer Stärke gefunden und musste sich anpassen, um zu überleben. Besonders aktuelle Spiele sollten aber aus diesem Beispiel lernen, dass Veränderung und Erleichterung niemals heißen sollte, dass man dem Wettbewerbscharakter und dem Niveau des Spiels schadet (wie einige Beta-Anpassungen). Erst wenn ein Titel seinem Dasein und seiner Rolle in der eSport-Kultur bewusst wird und diese kontinuierlich stärkt und pflegt, wird er auch längere Zeiten überdauern können. Erst dann hat er das Potenzial hunderte von Jahren alt zu werden und auch kommenden Generationen zu begeistern.