Inzwischen ist es beinahe vier Jahre her, dass ich auf meiner ersten Dreamhack Open war. Damals war ich Zuschauer, konnte einfach mit der Straßenbahn die paar Stationen bis zur Arena in Stockholm fahren. Ich betrat das Gebäude, inhalierte die Luft, spürte die Vorfreude in jeder Zelle. Auf jedem eSport-Event wohnt dieser gewisse Geruch inne. Die Matten, die in der Lanhalle ausgelegt sind, Kaffee und Elektrizität liegen in der Luft. Auch dieses Mal betrat ich die Halle wieder - Niko und Tina an meiner Seite - und es durchfuhr mich wieder: Die absolute Liebe zum eSport.
Ein Team im LAN-Areal. Foto: Kristin Banse
Der erste Gang durch die Halle war ziellos und genau so planlos. Ziemlich direkt hinter dem Eingang fanden wir den XMG-Stand, wo ich auf eine Freundin stieß, die dort arbeitete. "Soooo viele nette Menschen!", rief sie mit großen Augen. Sie hatte zwar schon auf der einen oder anderen Messe gearbeitet, aber bisher noch auf keiner im Videospielsektor. Ab und an lief sie mit Merchandise und Flyern durch die Halle und war immer wieder begeistert, wie lieb und freundlich alle waren. Manche wollten sogar ein Foto mit ihr, einfach nur so - als Erinnerung. Nachdem wir uns einen groben Überblick über die Halle mit den beiden großen Eventbühnen und der Leinwand für die Starcraft 2-Übertragung gemacht hatten, zog es uns auch schon in den LAN-Bereich der Messe. LAN-Parties haben mich schon immer fasziniert. Wir schlenderten durch die Reihen, blickten auf die Monitore der einzelnen Leute und schmunzelten immer wieder: Von Quake III bis Blobby Volley - wir sahen alles. Und quasi nichts hatte sich verändert. Obwohl die Möglichkeiten heute weitaus facettenreicher sind, als noch in den frühen 2000ern und viele internetgebundene Spiele zocken können - so blieben doch die meisten bei den klassischen LAN-Spielen.
Am Freitag kam die LAN gerade erst richtig in Fahrt. Foto: Kristin Banse
Zwölftausend Besucher sollten diese Hallen noch durchschreiten - eine stolze Zahl für ein relativ kleines Event. Dementsprechend waren auch die Zuschauertribünen nicht wirklich für den Ansturm der Fans ausgestattet und quasi permanent überfüllt. Besonders Samstag und am Sonntag als finalen Messetag saßen überall jubelnde Zuschauer vor und neben der Bühne, standen im Gang oder nahmen sich schlichtweg Stühle von den Cafés der Halle. Keiner ließ es sich jedoch nehmen, seinen Lieblingsspieler oder -team anzufeuern. Genau so etwas macht aber den eSport aus, enorm viele Menschen auf enorm wenig Platz - doch alles bleibt wundervoll friedlich. Es existieren selten Fankurven, Anhänger jedes Teams sitzen untereinander verteilt. Niemand stört sich daran. Eher werden Wetten abgeschlossen und anschließend wird noch ein Bier zusammen getrunken. Wenn die Menge dann jedoch bei jeder Aktion den Atem anhält und zugleich entsetzt nach Luft schnappt, so kann es nur eines bedeuten:
Das finale
vs
Nach einem außergewöhnlich eSport-haltigen Wochenende schleppten wir uns ein letztes Mal in Halle 5 der Messe Leipzig. Zumindest das letzte Mal für dieses Jahr, denn es steht bereits fest: Die Dreamhack Leipzig wird 2017 fortgeführt.
Das erste von zwei Finalen gebührt Starcraft II, beginnend mit Bly, der einen ganz imposanten Weg aus dem Halbfinale fand. Er besiegte nämlich Violet, der bis dorthin nicht eine einzige Map verlor, wurde dann jedoch von Bly wie ein Grashalm zertreten. Bly ist in absoluter Höchstform und hat sich besonders in LotV bewähren können. Der Hashtag "#blyonfire" geht um den Globus, alle Welt richtet ihre Augen auf den jungen Ukrainer. Das letzte Mal fand sich Bly 2012 in Bukarest - ebenfalls während einer Dreamhack - in einem Finale wieder. Im Gegensatz zu seinem Kontrahenten aus Frankreich, der sich nun zum ersten Mal als Finalist bezeichnen kann.
PtitDrogo sticht besonders durch die organisierte, saubere Ausführung seiner Build Orders hervor. Manche würden ihn bisher sogar als greedy bezeichnen - was sich jedoch in diesem Turnier nicht bewies. Ähnliches gilt für Bly, der bekannt für seine Cheeses ist, jedoch im gesamten bisherigen Verlauf von LotV seine Taktik veränderte. Worauf müssen sich also beide Spieler einstellen? Alles scheint möglich und auch das Publikum diskutiert tuschelnd über das folgende Match.
Beide Finalisten gehen in jedem Fall mit mindestens 8000€ Preisgeld nach Hause. Natürlich wollen sowohl Bly, als auch Drogo verdoppeln und mit dem Hauptpreis von 16.000 € aus dem Turnier gehen. Die erste Map an diesem Sonntag des großen Finales heißt Dusk Towers. Drogo spawnt im Nordosten der Map, Bly hält im Südwesten Einzug. In Leipzig ist es aktuell etwa 11 Uhr vormittags. Die Spieler wirken verhältnismäßig fit, nachdem sie sich beide am Vorabend ordentlich haben feiern lassen.
Das Match beginnt ruhig und ohne große Überraschungen. Bei Minute zwei nimmt Bly gerade seine dritte Hatchery, welche Drogos Probe auch gleich darauf neugierig beschnüffelt. Bly entscheidet sich für ein gasloses Opening und heizt seine Zerglingproduktion auf volle Touren hoch. Drogo verpasst die Gelegenheit, seine Choke zu blockieren - und muss nun die erste Hand voll Linge in seiner Basis abwehren. Diese knabbern bereits begeistert an einem Pylon, teilen sich dann gesättigt auf und scouten in Drogos Mainbase sowie der Natural. Obwohl sie - außer die Power der Gates auszusetzen - quasi keinen Schaden anrichten, ist dies dennoch kein guter Start ins Finale für Drogo. Nun hat dieser seinen dritten Nexus im Bau und sendet Bly freundliche Grüße in Form von zwei Adepten. Diese können ein wenig Unheil anrichten und als Sahnehäubchen hat Drogo jetzt auch zwei Stargates im Bau. Nach Fertigstellung produzieren diese fleißig Phoenixes.
Beinahe direkt im Anschluss entfachen Kämpfe an zwei Fronten: In der Mitte der Map beginnt ein Schlagabtausch zwischen Zerglingen und Adepten, während Blys Queens an dessen Mainbase gegen Phoenixe zu verteidigen versuchen. Bly beginnt nun seine Transition auf Air Units - hierfür wählt er Corruptor und spart dabei nicht. Neun von den fliegenden Geschöpfen sind auf dem Weg, um Drogos Phoenixen den Gar aus zu machen. Kurz darauf erreicht der Corruptor-Deathball auch bereits die Mainbase des Protoss und zielt genau auf den Nexus. Mit der neuen Fähigkeiten der Corruptor namens "Caustic Spray", welche 7 Schaden/Sekunde für die ersten 4,5 Sekunden anrichtet und dann auf 35 Schaden/Sekunde springt, kann er den Nexus in nur wenigen Augenblicken von der Map radieren.
Drogo hat jedoch bereits seine ganze Armee in Blys Basen verteilt uns kann einen der gerade morphenden Lurker noch vernichten, bevor dieser zum Einsatz kommt. Die Corruptor haben sich nun auf alle Nexus verteilt und nagen beständig an diesen. Doch Bly hat inzwischen 45 Drones verloren und wird es schwer haben, dieses Match noch zu gewinnen. Er setzt alles auf Lurker und verteilt diese wie ein Minenfeld vor seiner Basis. Drogo pusht durch und seine Archons schwärmen über den Creep in Blys Basen. Dieser gibt kopfschüttelnd das erste GG des Tages an PtitDrogo, während die Menge kaum noch weiß, wo ihnen der Kopf steht.
Match 2 spielt auf Prion Terraces - Bly kann sich geschickt an Drogo vorbeimogeln und gewinnt das Match durch einen Kniff.
Match 3 wird auf Orbital Shipyard ausgetragen - Der Zergspieler agierte bereits zu Beginn sehr aggressiv, man fragt sich, wie er dieses Match verlieren konnte.
Match 4 findet auf Ulrena statt - Drogos Blink Stalker waren schlichtweg zu stark und ließen Bly keine Chance.
Doch in Match 5 wird es erst wieder richtig spannend: Bly muss nun drei Matches in Folge gewinnen, um aus diesem Turnier noch als Gewinner hervor zu gehen. Drogo jedoch steht nur noch ein einziger Gewinn im Weg zum ersten Titel in dem Premier Turnier. Wir befinden uns auf Ruins of Seras. Horizontale Spawning points - Bly schlägt sein Lager im Westen auf, während sich Drogo im Osten nieder lässt. Für den Zergspieler könnte diese Map einen entscheidenen Vorteil bedeuten, denn die kurzen Rushwege sowie optimale Verhältnisse für Overlord Drops könnten ihm den Sieg bringen.
Bly startet wieder gewohnt aggressiv, er scoutet mit einer Hand voll Slowlingen, delayed Drogos Eco sowie einen Pylon. Jedoch richtet er keinen Schaden an. Dennoch bekommt er genug Vision, um einen Overlord Drop an der südwestlichen Flanke von Drogos Basis zu planen. Doch in dem Moment, als der Overlord eintrifft, platziert genau dort eine von Drogos Probes gerade einen Pylon. Bly zieht sich schnell zurück und wirft seine Pläne über den Haufen. Währenddessen befindet sich jedoch ein Oracle in Blys Basis, welches wie eine nervtötende Fliege in der Gegend herumschwirrt und Chaos anrichtet. Dennoch kann es nur drei Drohnen auf seinem Killcounter verrechnen, bevor es schließlich vom Himmel geholt wird. Drogo hat derweil immer noch eine lästige Zerglingplage in all seinen Basen, verliert dadurch sogar zwölf Probes, kann die Störenfriede jedoch letztendlich abwehren und seine Eco wieder stärken.
Sage und schreibe elf Adepten befinden sich nun auf dem Weg zu Blys Basen, flankiert von einem Oracle stellen sie eine durchaus große Bedrohung dar. Elf Drohnen, zwei Queens und ein paar Roaches sollen ihnen schon bald zum Opfer fallen. Bly kann den Push abwehren - beide stärken erneut ihre Eco und Drogo sammelt wieder einmal seine Kräfte, um Bly weiter zu schwächen. Doch dieser kann ihn erneut mit Queens, Roaches und einem tapferen Spore Crawler zurück drängen. Drogo wirkt nun aggressiver und gibt sieben Gateways in Auftrag. Bly reagiert, indem er einen Hydra Den baut, um seine bewährte Waffe namens Lurker zum Einsatz zu bringen.
Nach kurzem Schlagabtausch in der Mitte der Map pusht Drogo wieder auf Blys Basen und kann sogar die Vierte einreißen. Er zieht sich danach nur kurz zurück, doch Bly hat gerade seinen Greater Spire fertiggestellt und könnte in wenigen Augenblicken die ersten Broodlords auf dem Schlachtfeld vorzeigen. Drogo kann Blys neu errichtete vierte Basis erneut einreißen, wirft mit Storms um sich, die jedoch schlecht landen und beinahe keinerlei Schaden anrichten können. Der Protoss muss sich angekratzt zurück ziehen, doch wie bei einem verletzten Jagdhund wird es nicht lange dauern, bis er wieder zum Angriff ansetzt. Bly versucht ihm zwar zuvor zu kommen, doch dieses Mal können die Storms enormen Schaden anrichten. Bly wird nun seinerseits zurück gedrängt, hat jetzt beinahe keine Amee übrig, um sich zu verteidigen. Die Armee des französischen Protoss ist überall auf der creepüberwucherten Basis, eine Hatchery nach der anderen fällt.
Es scheint jetzt keinerlei Zweifel mehr zu geben: Drogo wird diesen Titel mit nach Hause nehmen und auch Bly wird es nun bewusst. Er hat keine Chance mehr, dieses Turnier noch zu gewinnen, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und tippt die erlösenden Tasten: "ggwp".
Drogo springt auf, rennt aus seiner Spielerkabine und greift sich seinen hart erkämpften Stern - seine Trophäe der Dreamhack Zowie Open in Leipzig. Nicht nur nimmt er seinen ersten, ganz eigenen großen Sieg nach Hause - er ist außerdem auch der erste WCS Champion 2016. Selbstbewusst und stolz verkündet er, dass dieses Jahr definitiv das seine wird. Und während er noch in der bekannten Dreamhack-Tradition den Champagner über die erste Zuschauerreihe versprüht, sitzt Bly leicht lächelnd noch in seiner Kabine. Er wirkt trotz allem zufrieden und ausgeglichen.
Langsam aber sicher leeren sich die Hallen der Leipziger Messe. Freunde und Kollegen nehmen Abschied, mit dem Versprechen im folgenden Jahr wieder gemeinsam nach Leipzig zu fahren. Es wird still um die Bühnen, hier und dort finden sich noch zurück gelassene Merchandise-Artikel. Nun wird aufgeräumt, Platz geschaffen für die nächste Ausstellung. Zuschauer, Spieler, Caster und Organisatoren fahren zurück nach Hause. Es war ein besonders anstrengendes Wochenende für alle, dennoch sind wir auch zufrieden und stolz. Die erste Dreamhack in Deutschland hat mit Sicherheit noch die ein oder andere Kinderkrankheit zu überwinden, doch dies wird ein leichtes sein. Wir bedanken uns bei allen Mitgliedern der Community, die wir vor Ort treffen durften und hoffen, euch auch auf dem nächsten Event wieder sehen zu können.
Hey, Chrissi. :)
Da hat sich die Wartezeit mehr als gelohnt. Wow! Dein Stil ist im Laufe der GOTM-Artikel souverän aus dem Laufgitter gekrabbelt, hat seine Pubertät übersprungen und darf jetzt auf Streamingportalen in den nicht jugendfreien Bereich. Kurzum: Er ist mit seinen Aufgaben und Deinem Streben gewachsen. Das zu verfolgen hat nicht nur anständig den Infotainment-Faktor gehoben, sondern lässt mich hier weiterhin am Bildschirm kleben. Die Rubrik zählt nach wie vor zu meinen Favoriten und sie hebt auf eine angenehme Weise das "Schade, schon vorbei"-Gefühl - das gelingt nicht jedem und bedarf einer gewissen Finesse. Bin wirklich sehr gespannt, wie Du Dich hier weiter entfaltest und freue mich jetzt schon auf neuen Lesestoff von Dir.
Ich hoffe, dass wir uns demnächst auf einem der Events begegnen, darauf gemeinsam die Bars unsicher machen und auf die leere Seite trinken - sofern mein Stil die Volljährigkeit erreicht. ;)
Ich kann nur jedem ans Herz legen sich diesen und die vorherigen GOTM-Artikel zu Gemüte zu führen und schmunzelnd die spannenden SC2-Matches nachzulesen. Viel Spaß.