Foreigner in Korea - Zwischen StarCraft-Kult und Kulturschock

Nach Südkorea reisen und für einige Monate dort in einem professionellen Teamhaus trainieren - das ist für nicht-koreanische StarCraft 2-Spieler wahrlich eine Pilgerreise. Doch das Leben als Progamer im Zentrum der StarCraft-Welt ist alles andere als ein Zuckerschlecken, besonders wenn man als Fremder dieses unbekannte Terrain betritt. Was erwartet Foreigner (hier ist der Begriff nun buchstäblich zu gebrauchen) in Südkorea? Was gibt es bei einem solchen Abenteuer zu gewinnen... und was zu verlieren?

Marco | TripleM 10.10.15

Diesen Winter werden sich einige westliche Progamer nach Südkorea aufmachen, um dort für wenige Wochen und Monate die Kunst des Spielens von den Meistern zu lernen. Kevin 'Harstem' de Koning (Foto: Adela Sznajder, DreamHack) hat seinen drei Monate andauernden Aufenthalt bereits begonnen, ebenso wie Theo 'PtitDrogo' Freydiere, der einen Monat lang dort bleiben wird. Nach der BlizzCon im November will sich auch noch ein weiteres französisches Duo auf den Weg machen: David 'Lilbow' Moschetto und Alexis 'MarineLorD' Eusebio wollen ihre Fähigkeiten ebenfalls in der Welthauptstadt der StarCraft-Competition verbessern. Während Harstem im SBENU-Teamhaus leben kann, da sein Team Invasion Esport geschäftliche Beziehungen mit SBENU pflegt, und mYinsanity's Protoss bei Team MVP ein Zuhause gefunden hat (das Team hatte bereits zuvor mYi-Spieler berherbergt), ist noch unbekannt, wo genau das Millenium-Duo Unterschlupf finden wird.

Doch was genau erhoffen sich Foreigner eigentlich von einem kurzen Aufenthalt in Korea? Inwiefern können ein paar Monate Training in Korea einen Spieler verbessern? Und vielleicht noch wichtiger: Was sind die negativen Aspekte eines solchen Abenteuers?

Der Grund für eine Trainingsreise nach Korea ist recht offensichtlich und simpel: Man will stärker werden. Der erste Faktor hierfür ist ganz schlicht und einfach die koreanische Ladder. Bei den Einflüssen der Ladder auf das Training der Progamer sind die Aussagen von Dario 'TLO' Wünsch und Jens 'Snute' Aasgard eine gute Quelle. Die beiden Liquid-Spieler erklärten 2014, dass die europäische Ladder massiv von der Präsenz einiger weniger Koreaner profitierte. Wenn man nachrechnet, waren das hauptsächlich sieben Spieler: ForGG, First, YoDa, MC, HyuN, Patience und Golden. Nur sieben Spieler haben für dutzende europäische Progamer ein weit besseres Trainingsklima geschaffen. Man kann sich vorstellen, wie bereichernd es ist, eine Ladder zur Verfügung zu haben, in der die Mehrheit der Spieler besser ist - oder anders spielt, als man selbst. Neue Strategien und Techniken zu erlernen - das ist einer der Hauptgründe dafür sein, nach Korea zu gehen. Es ist einfach effektiver, wenn man selbst gegen solch starke Gegner spielt, als sich die Ligen im Stream anzusehen und am Ende der Saison ein paar Replays zu analysieren.

Johan 'NaNiwa' Lucchesi spricht 2011 ausführlich über seinen Aufenthalt in Korea bei StarTale und MVP: Youtube.

Dieser erste Faktor wird vom Faktor Nummer 2 verpackt: den Teamhäusern. Man hört und liest viele Sachen über sie, oft werden sie als größter Vorteil der koreanischen Progaming-Szene gegenüber der Westlichen bezeichnet. Aus erster Hand ein solches Haus besuchen zu können, das muss unglaublich verlockend sein. Ein Teamhaus ist für die Spieler Wohnung, Arbeitsplatz und eine Ideenfabrik zugleich. Kollegen tauschen sich hier über Strategien und Ideen aus, bereiten Proleague-Spiele und StarLeague-Serien vor, essen und leben zusammen. Sie werden zu einer Einheit geschmiedet, die nur einen einzigen Zweck hat: StarCraft-Spiele zu gewinnen.

Ein Stück Geschichte - die alte Bande von oGs und Liquid (u. a. mit HerO, ForGG, SuperNoVa, HuK, Jinro und HayprO). Foto: sc2plu.cn

Das wohl wertvollste Trainingsinstrument in Teamhäusern ist dabei das Inhouse-Ranking. Tagtäglich werden innerhalb des Teams Turniere gespielt - teilweise einen Tag lang immer auf derselben Karte. Dieses intensive Training ermöglicht den Coaches, die Stärken und Schwächen der Spieler zu evaluieren. Dazu ist es eine Motivationsspritze für alle Bewohner des Hauses. Denn die Spieler am Boden des Rankings müssen oftmals das Geschirr abwaschen und ähnliche Arbeiten erledigen. Interessant ist auch: Wenn ihr einen koreanischen StarCraft-Spieler mal ärgern wollt, nennt ihn "dishwasher". Der Wettbewerb ist allgegenwärtig. Das Fehlen einer solchen Mentalität führt wohl auch dazu, dass westliche Teamhaus-Experimente oft scheitern.

Manuel 'Grubby' Schenkhuizen zeigt 2013 das FXO-Teamhaus und gewährt einen Einblick in die Trainingsmethoden des Teams:

Nun sind die Teamhäuser für Foreigner natürlich eine sehr große Chance. Gleichzeitig sind sie aber auch der Grund dafür, wieso Foreigner oft nicht mehr in das Land zurückkehren wollen, nachdem sie einmal dort gewesen sind. An dem koreanischen Arbeitsethos teilzuhaben - sofern man es schafft - ist unglaublich gewinnbringend. Man spielt schneller, man spielt klüger und man spielt umsichtiger. Die Selbstdisziplin verbessert sich ebenso, wie die Art und Weise, mit der man an das Spiel herangeht. Coaches helfen bei Motivationsschwierigkeiten und können mentale Unterstützung bieten.

Das Team ist wie eine zweite Familie: "생일 축하 해요~~!" (sprich "seng-il tschu-ka heyo") oder auch "Happy Birthday!", TY! Foto: KT Rolster

Doch sehr oft wird das Leben in einem Teamhaus voller Koreaner als Europäer schnell ein wenig unangenehm. Man muss hier beachten, dass man definitiv einen Kulturschock erleiden wird. Privatsphäre ist in einem solchen Haus beinahe nicht existent: Es wird alles zusammen gemacht. Man schläft in Gruppen in Hochbetten, man isst zusammen, man fährt zusammen zu Spielen. Oftmals sprechen die Koreaner nur sehr schlechtes Englisch, an Gesprächen kann man sich daher nur sehr bedingt beteiligen - zwar kann man meist Strategy-Talk betreiben, da StarCraft-Begriffe auch in Korea Englisch sind, doch alles in allem fühlt man sich alleine und isoliert. Das Leben ist streng diszipliniert. Es gibt zu bestimmten Zeiten Essen, es wird bis spät in die Nacht trainiert und so etwas wie Freizeit ist eigentlich auch nicht vorhanden.

Eine Tour durch das SBENU-Teamhaus (nicht unbedingt ein typisches Beispiel, da Wohn- und Trainingsareal getrennt sind), in dem Harstem für drei Monate untergebracht sein wird:

Einem wurde das irgendwann zu viel: Greg 'IdrA' Fields, einer der wenigen Foreigner, die zu Brood War-Zeiten in ein koreanisches Teamhaus aufgenommen worden sind. Er suchte sich nach einer gewissen Zeit bei CJ Entus eine eigene Wohnung, da er dem Druck des Teamhauses nicht mehr standhalten konnte. Dario 'TLO' Wünsch, der lange im Haus von oGs gewohnt hat, sagte sogar, dass er den koreanischen Trainingsweg für ineffektiv und zu unausgeglichen hält. Auch er gründete für sich und seine Liquid-Kollegen zeitweise ein eigenes Haus. Natürlich leben wir aber nicht mehr in Brood War-Zeiten. Auch wenn die KeSPA-Teamhäuser nach wie vor sehr straff durchorganisiert sind, läuft das Leben etwa in den Häusern von SBENU und MVP etwas lockerer. Und Englisch-Kenntnisse sind inzwischen weit mehr verbreitet, als noch vor fünf Jahren. In KeSPA-Teams gibt es sogar Englisch-Unterricht und in den ehemaligen eSF-Teams haben viele Spieler bereits mehrere Reisen unternommen und einige Kenntnisse gesammelt.

In den reicheren KeSPA-Teamhäusern gibt es auch durchaus Annehmlichkeiten zu genießen. Für Gott nur das Beste. Foto: KT Rolster

Dan 'Artosis' Stemkoski spricht mit IdrA über sein Leben im Teamhaus von CJ Entus zu Brood War-Zeiten: Youtube.

Dennoch: Das Isolationsgefühl ist einer der größten Feinde von Foreignern in koreanischen Teamhäusern. Bei Jeffrey 'SjoW' Brusi führte es sogar zu einer Art von Apathie: Er saß tagelang nur im Teamhaus rum und schaute TV-Serien, weil er sich zu nichts anderem mehr aufrappeln konnte. Als dies öffentlich wurde, verbreitete sich in Korea schnell der Nickname 'Lazy Brusi' für SjoW. Johan 'NaNiwa' Lucchesi - trotz aller Kontroverse um seine Person, einer der am fleißigsten arbeitenden Foreigner in Korea - erklärte, dass er alles irgenwann einfach nur noch gehasst habe. Isolation ist eine Sache, Frustration eine weitere. Jens 'Snute' Aasgard kann davon ein Lied singen. Er erläuterte einmal, dass es möglich sei, trotz der harten Trainingseinheiten in Korea selbst keine Fortschritte zu machen. Diese können erst zwei, drei Monate nach dem Training in Korea zum Vorschein kommen. Niederlage um Niederlage einzustecken, keine Verbesserungen zu sehen - das nagt an einem. Und wegen der Isolation ist man mit diesen Gefühlen alleine.

Ein ziemlich unterschätzter Faktor ist der des koreanischen Stolzes und der Vorurteile gegenüber Foreignern. Selbst wenn man in einem Teamhaus freundlich aufgenommen und als Teil der Gruppe akzeptiert wird, bleibt man bis zu einem gewissen Grad ein Außenseiter. Die koreanische Community hackt gerne auf Spielern rum, die von Foreignern besiegt werden. Kein Koreaner will Opfer solcher Blamagen werden. Aus diesem Grund wird man als Foreigner niemals irgendwelche neuen Strategien von koreanischen Kollegen erfahren. Im Gegenteil: Koreaner arbeiten auch über Teamgrenzen hinweg zusammen, um Foreigner zu schlagen.

Dies begann vor Jahren aus Nationalstolz, weil man in den World Cyber Games natürlich nicht gegen andere Nationen verlieren wollte, hat sich aber bis heute gehalten. Erneut kann IdrA hier als Beispiel genannt werden. Zu Beginn der GSL galt der Zerg-Spieler auch in Korea als einer der Besten, weshalb sich seine Gegner untereinander gut verständigten, um ihn aus dem Turnier zu eliminieren. Gerade Lilbow, der in der BlizzCon als einziger Foreigner antreten wird, muss sich auf solchen Widerstand gefasst machen.

Eine etwas betagte Doku von National Geographic über die WCG 2005 gibt Einblick in viele der erwähnten Themen - und ist noch heute aktuell:

Dazu kommen Vorurteile: Foreigner gelten als faul. Und Faulheit ist etwas, das die Koreaner nicht mögen - Spieler wie SjoW haben leider die negativen Vorurteile über Foreigner in den Augen der Community nur bestätigt. Snute hingegen gilt als vorbildhaft: Er hat sich bei CJ Entus an alle Regeln gehalten und sich der Lebensweise des Teams angepasst. Er hat sich Respekt erworben. Und er hat am Ende von seiner Reise profitiert - wenn auch nicht sofort.

Unabhängig davon ist ein weiterer Faktor sehr interessant: Die Foreigner, die diesen Winter in Korea sein werden, werden beim Legacy of the Void-Launch dort sein. Sie werden aus erster Hand sehen, wie sich das koreanische Meta entwickelt. Und so werden sie sich - so gut es geht - mit Koreanern über das neue Spiel austauschen können. Ein potenziell gigantischer Vorteil gegenüber allen Spielern, die in Europa leben. Und außerdem ziemlich einzigartig, denn während Heart of the Swarm veröffentlicht wurde, gab es keine Foreigner in Korea. Es dürfte faszinierend werden, inwiefern das Gameplay des Quartetts dadurch längerfristig beeinflusst werden könnte.

Manchmal nehmen auch die KeSPA-Spieler Urlaub - doch selbst hier wird nur zusammen etwas unternommen. Fussballmatches gegen andere Progaming-Teams sind übrigens sehr beliebt. Foto: KT Rolster

Auf Harstem, Lilbow, MarineLorD und PtitDrogo kommt eine unglaubliche harte Zeit zu, die aber - sofern man die Schwierigkeiten auf dem Weg meistert - wahrlich bereichernd sein wird. Nach Korea zu gehen bedeutet keinen automatischen Skillanstieg. Korea bietet lediglich die richtigen Konditionen, um einen solchen zu erreichen. Erarbeiten muss man ihn sich jedoch selbst. Und zwar hart.

Titelbild: flickr.com & commons.wikimedia.org

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Autor: Marco | TripleM

Mein Name ist Marco, ich bin Student und mittlerweile seit fünf Jahren in der Esport-Szene als Schreiberling aktiv. Mein "Fachgebiet" ist StarCraft (2), und hier vor allem die glorreiche Szene in Südkorea. Ansonsten bin ich sehr großer Fan von anderen Strategiespielen, egal ob in Echtzeit oder Runden. eSport-technisch bin ich außerdem in Dota 2 aktiv.

Darf ich eigentlich meinen Twitter-Account hier pluggen?

12. Oktober 2015 - 0:45
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Alpenbazi
Benutzer
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11.11.2016 - 00:01
06.10.15
8

Sehr intressant. Danke für die Zusammenstellung Schreiberling :D

13. Oktober 2015 - 19:57
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Blechfaust
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17.09.2018 - 18:45
16.03.15
282

Der Artikel war sehr lesenswert und die Videos und alle verlinkten Artikel auch. Wirklich richtig klasse. Habe sie verschlungen. Und sie haben mich motiviert. Die Claninternen Ranking Matches sind sehr sehr interessant. Ich muss das mal im Clan ansprechen. Egal ob man dann gegen deutlich bessere spielen muss oder nicht.

13. Oktober 2015 - 20:36
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TripleM
Benutzer
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29.03.2017 - 16:53
18.08.15
41

Ich gebe den Dank zurück, Alpenbazi und Blechfaust! =)

Es freut mich, dass ich dich so motivieren konnte, Blechfaust. Ich hoffe, dass die neue Übungsmethode eurem Clan ein wenig Spaß und Fortschritt bringt - gegen bessere Spieler anzutreten ist immer gut, aber wenn man auch mit ihnen befreundet ist und über die Matches sprechen kann, bringt das noch viel mehr. :)