Gaming Explained: Gewalt als Endboss

Videospiele sollen Gewalt verherrlichen - dieses Vorurteil sitzt tief. Die Wissenschaft hält mit Studien dagegen: Das soziale Umfeld hat einen größeren Einfluss als Videospiele. Und dank der Jennifer Ann Organisation treten Videospiele jetzt der Gewalt entgegen.

Tammy | Shàwen 26.11.15

Willkommen zurück bei Gaming Explained. In dem letzten Artikel haben wir euch Einblicke in den neurowissenschaftlichen Bereich gewährt und etwas über die Forschung im Bereich Computerspiele und Multitasking erklärt. Heute geht es nicht ums Gehirn, sondern um die Sozialwissenschaft - wir beschäftigen uns mit Gewalt in Computerspielen. Es soll aber nicht um das Vorurteil gehen, Videospiele wären gewaltveherrlichend. Im Gegenteil: Es gibt auch Videospiele gegen Gewalt.

„Mama nervt – nie darf ich zocken!“

Man stelle sich vor, es ist Mittwoch Abend, die Batterien vom Wochenende sind leer, das nächste ist noch in weiter Ferne und der Tag war auch alles andere als toll. Man hat den Zug verpasst, eine Mathearbeit geschrieben und zu Hause gab es auch noch einiges zu erledigen. Endlich ist die Arbeit getan und man kann sich entspannt dem Zocken widmen. Also Kiste starten, Headset auf den Kopf und der Lieblingsshooter angeschmissen. Kaum sind wir so richtig drin und nieten jedermann mit einem äußerst gelungenen Headshot um, da kommt Mama mit Gurkenmaske in die Tür. Aber anstatt sich mit uns über unseren Skill zu freuen, hält sie uns einen Vortrag über Gewalt und darüber, dass diese Egoshooter gefährlich sind - Amokläufer und so. Das Vorurteil, dass Videospiele Gewalt fördern, sitzt tief - aber die Wissenschaft setzt dagegen an.

Quelle: PlayNation

Shooter sind gewaltverherrlichend

Immer wieder liest und hört man in den Medien von „Killerspielen“ - sie seien gewaltverherrlichend. Schnell brennt sich bei der Generation unserer Eltern und Großeltern ein Bild ins Gehirn: Computerspiele seien böse und die Kinder sollen nicht zocken, sondern etwas sinnvolles machen. Nach einem Amoklauf werden Videospiele schließlich oft vollkommen zu Unrecht als Übeltäter herangezogen. Aber stimmt das? Forscher sagen: Nein. Studien mit acht- bis 13 Jährigen belegen, dass gewalttätige Computerspiele die Kinder nicht aggressiver machen. Nur wenige Kinder gaben zum Beispiel an, gerne Shooter zu spielen. Aggressive Kinder hingegen neigen auch zu gewalttätigen Spielen - und können ihre Aggression so wieder verstärken. Dies bestätigt auch ein Forscherteam um den Psychologen an der Iowa State University, Dr. Craig Andersson, welches Tests mit 130.000 Probanden durchführte. Demzufolge sollen gewalttätige Computerspiele die Gewaltbereitschaft bei ohnehin aggressiven Spielern erhöhen. Aber auch das Gegenteil ist der Fall - so zeigten Forscher um den Psychologen Prof. Dr. Greitemeyer ebenso wie die Arbeitsgruppe um Craig Anderson. Soziale Spiele können Hilfsbereitschaft und Kooperation fördern. Zudem sagt der an der Uni Innsbruck forschende Professor Dr. Greitemeyer, dass der Effekt von Computerspielen auf das Verhalten - auch, wenn vorhanden - nicht sonderlich groß sei.

Das Spiel hat also keinen allzu großen Einfluss. Viel wichtiger scheint das soziale Umfeld der Kinder. Empfehlenswert ist es für Eltern, sich ihrer Kinder annehmen und mit ihnen möglicherweise über die Spiele zu sprechen. So entsteht kein falsches Bild in den Köpfen der Teenager. Natürlich gibt es Spiele, die die pure Gewaltverherrlichung sind. Sie stärken vermutlich Aggressionen und setzen Empathie herab - wie beispielsweise der dieses Jahr veröffentlichte Twinstick-Shooter Hatred. Es kann aber auch anders laufen - und Spiele dienen zur Gewaltprävention. Wollen die Eltern nicht glauben? Ist aber so!

Quelle: AppsZoom

Teen Dating Violence

Das Zocken ist aus dem Alltag der Jugendlichen nicht mehr wegzudenken, denn das gemeinsame Spielen mit Freunden macht Spaß und bietet einen guten Ausgleich zum täglichen Stress. Zudem fördert es unsere Fähigkeiten des Multitaskings, wie wir erst kürzlich erfahren haben. Wenn das Spielen also so stark in den Alltag integriert ist - wieso es dann nicht gegen Gewalt in jugendlichen Beziehungen nutzen? Das dachte sich auch die Organisation „Jennifer Ann’s Group“, eine gemeinnützige Organisation gegen Gewalt in Beziehungen bei Teenagern, die sogenannte Teen Dating Violence (TDV). Gegründet wurde die Organisation 2006 von Jennifer Ann Crecentes Vater, dessen Tochter einen Tag nach dem Valentinstag 2006 von ihrem Exfreund getötet wurde – sie wurde Opfer der TDV. In den USA erfuhren bereits 40% aller Studenten Missbrauch in ihren Beziehungen. Das ist eine immens hohe Zahl und zeigt deutlich, dass dies ein ernstzunehmendes Problem ist. Auch in Deutschland ist es keine Seltenheit, dass Jugendliche Gewalterfahrungen in ihren Beziehungen sammeln – dabei kann es sich um psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt handeln. Die Folgen für die Jugendlichen sind kaum vorstellbar - sie können von Essstörungen zu Selbstmordgedanken oder im schlimmsten Fall einem tatsächlichen Selbstmord reichen. Daher ist es besonders wichtig, auf dieses Problem aufmerksam zu machen und darüber aufzuklären. Aufklären, Lehren und Unterstützen: Das sind auch die Grundpfeiler, auf denen sich die Jennifer Ann's Group stützt. Nur durch Aufklärung und das Erkennen dieser Gewalt kann Opfern aktiv geholfen werden. Und wo bleibt das Gaming dabei?

Lernen durch Identifikation

Ganz einfach: Jugendliche spielen gerne Computerspiele. Da bietet es sich doch an, die Zielgruppe durch die Computerspiele auf das Problem der TDV aufmerksam zu machen. Spielerische Aufklärung hilft dabei, auch die Jugendlichen erkennen zu lassen, wenn sie selbst oder die besten Freunde Opfer der Gewalt werden. Zudem können sie Lösungswege aus dieser Situation finden, wenn sie sich selber mit den Protagonisten des Spiels identifizieren. Potentielle Täter können so ebenfalls mit der Gewalt konfrontiert werden, denn auch sie zocken und können so etwas über die Konsequenzen ihres Handelns lernen. Oft ist den Tätern gar nicht klar, welche psychische Belastungen sie hervorrufen können - oder dass ihr Verhalten nicht normal ist. Zudem wurde in einer Studie der Universität Colorado, Denver von 2010 gezeigt, dass Videospiele besser als herkömmliche Methoden zum Lernen geeignet sind. So war das Faktenwissen und die Merkfähigkeit bei computergestützem Lernen in dieser Studie um circa zehn Prozent erhöht.


Life. Love. Game Design Challenge

Das Besondere: Die Jennifer Ann Organisation hat 2008 einen Wettbewerb ins Leben gerufen – die Life. Love. Game Design Challenge. Hier sollen Entwickler ein Videospiel über Teen Dating Violence entwickeln und dabei gänzlich auf Gewalt verzichten. Der erste Preis betrug vor sieben Jahren 1.000 US-Dollar. Dieser Wettbewerb findet seitdem jährlich am 15. Februar, dem Todestag der dunkelhaarigen Jennifer Ann Crecente, statt. Das Preisgeld ist seit 2013 mittlerweile auf 6.000 US-Dollar für den ersten Platz angestiegen. Die Life. Love. Game Design Challenge hat internationale Bedeutung, denn die Gewinner kamen nicht nur aus den USA – auch Argentinien, Thailand, Irland und Belgien beherbergt Gewinner des Wettbewerbs. Sogar CNN, The Huffington Post und andere Nachrichtenseiten berichteten darüber. Die Spiele der Gewinner werden im Internet öffentlich bekannt gemacht. So haben sowohl Jugendliche als auch Eltern die Möglichkeit, die Spiele auszuprobieren. Auch Lehrer können sie nutzen und ihre Schüler so über Teen Dating Violence aufklären.

Das Spiel „Grace’s Diary“ gewann den Wettbewerb 2010 und ist eine Art interaktive Geschichte, in der der Spieler herausfinden muss, was mit besagter Grace passiert ist. Wenn die Jugendlichen alleine vor dem PC sitzen und sich mit dem Protagonisten identifizieren, lernen sie viel schneller und sind eher bereit sich darauf einzulassen. Viele Jugendlichen sind sich nicht im Klaren darüber, was normal ist - oder eben nicht. Sie nehmen ihre Situation als normal hin. Wie also sollen sie lernen, was normal ist und was nicht? In Spielen wie „Grace’s Diary“ oder dem Nachfolger „Finding Jane“ können sie in Ruhe lernen und sehen, was normal ist. So werden sie auf einen möglichen Ausweg aufmerksam gemacht. So leisten die Computerspiele einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung über Gewalt und bieten den Jugendlichen Hilfestellung. Dieser Wettbewerb ist ein gutes Beispiel dafür, dass Computerspiele nicht verteufelt werden sollten. Stattdessen liefert er den Beweis, dass Videospiele auch positive Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben können.

Wie denkt Ihr darüber? Ist das Zocken zwischen Euch und euren Eltern auch ein Streitthema?

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Autor: Tammy | Shàwen

Manche nennen mich Tammy, Gute-Laune-Mensch, Life for Science, Alles wird gut!, Kaninchenfreund, hat ein Herz für Horrorspiele und ganz wichtig: Oo De Lally!

26. November 2015 - 22:32
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MementoMori
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15.03.2017 - 19:39
11.08.15
9

Ich glaube, die gewalt in videospielen steht eigentlich fast nie im vordergrund und die meisten Spiele auf ihre Gewalt zu reduzieren, finde ich falsch. Leute die behaupten, dass videospiele nur gewalt als inhalt oder ziel haben, haben selbst sich nie intensiv mit dem thema beschäftigt, geschweige denn gespielt und reißen das ganze aus dem kontext. Wenn jemand Battlefield oder Total War oder irgendein anderes Spiel mit Gewaltdarstellung spielt, denkt derjenige normalerweise nicht an die Gewalt an sich, sondern an die Herausforderung, die das Spiel mit sich bringt. Wenn jemand natürlich von außen jemandem beim spielen zuschaut, geht der competitive teil an ihm gänzlich vorbei, und er bekommt nur das visuelle Geschehen mit, wobei selbst das noch Kontext hat und nicht einfach so als bloße Gewalt dargestellt werden kann

29. November 2015 - 22:44
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Ekkman
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23.10.2016 - 22:46
13.12.13
35

Ich glaube nicht, dass die Leute, die wirklich Gewalt in Videospielen als Problem ansehen (ich meine hier nicht die allgemeine Sicht der Eltern), Spiele wie Bf4 oder CS meinen. Ich denke, die meinen eher Spiele wie GTA und Konsorten, in denen es durchaus darum gehen kann nur Gewalt anzuwenden. Wer sich wirklich mit der Materie auseinandersetzt wird den Competetiven Gedanken hinter Shootern schnell sehen und - wenn schon nicht verstehen so doch wenigstens - akzeptieren.

Für manche ist es bestimmt ein wichtiger Faktor, so über die Grenzen gehen zu können (wie in GTA), die in unserer Gesellschaft verpönt sind. Gerade Jugendliche tun das durchaus intensiv. Es ist ja auch durchaus spannend ein Auto auf der Straße zu klauen und damit mal über die Fußgängerwege zu brettern. Ich sage hier allerdings nicht, dass jetzt all diese Jugendlichen zu Gewalttätern werden. Im Gegenteil. Ich unterschreibe den Satz, dass das soziale Umfeld letztlich entscheidend ist, wie sich ein Mensch entwickelt. Egal ob Ego-Shooter, Action-Filme oder Hardcorepornos konsumiert werden.

1. Dezember 2015 - 8:49
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Shàwen
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29.08.2018 - 20:30
01.07.14
938

Ihr habt beide recht, natürlich können Videospiele nicht einfach auf Gewalt reduziert werden (bis auf sehr wenige Ausnahmen), allerdings gibt es auch in Shootern eine Gewaltdarstellung die aggressives Verhalten fördern kann, oft auch unbewusst (wer sich z.B. das neue Doom Gameplay ansieht weiß denke ich, was ich meine). Dass die Jugendlichen die Spiele nicht spielen um an die Gewalt zu denken, sondern um Spaß an dem Spiel zu haben, steht wohl außer Frage, was aber nicht heisst, dass die Spiele ihr Verhalten nicht beeinflussen können, weshalb so ein riesen Wirbel von den Medien, besorgten Eltern etc. darum gemacht wurde. Dass die Spiele, im Gegensatz zum sozialen Umfeld, kaum Bedeutung haben wurde ja zum Glück schon wissenschaftlich belegt und es laufen derzeit viele Studien, die sich mit genau diesem Thema beschäftigen.

Und ich stimme Ekkman da auch zu 100% zu, selbes gilt für Hoorofilme und Hardcore-Pronos, fehlende Aufklärung und fehelende Gespräche mit dem sozialen Umfeld (oft aus Desintresse der Erziehungsberechtigten oder anderer Gründe) führen natürlich zu Fehlvorstellungen, bei denen das Medium aber nur eine geringere Rolle spielt. Das Umfeld ist i.d.R entscheidender.

Viele Grüße,

Shàwen