Im Profil: David Kim und der „unmöglichste Job der Welt“

"David Kim" ist in Starcraft II-Kreisen weniger ein Name, eher ein geflügeltes Wort. Kaum ein Mitarbeiter von Blizzard genießt bei Starcraft-II-Fans eine höhere Bekanntheit als der Balance-Guru aus Südkorea. Sein Ruf ist weniger berühmt, als berüchtigt, jede seiner Entscheidungen ruft regelmäßig scharenweise Kritiker auf den Plan. Wie geht man damit eigentlich um?

Gerrit 09.01.16

Die Vereinten Nationen sind wohl das komplizierteste und verrückteste Gebilde der Weltpolitik: 193 Staaten mit unterschiedlichen Interessen, Mentalitäten und Entwicklungsstufen sollen in trauter Einigkeit den Weltfrieden sichern. Konsens? Unmöglich! Konfliktpotenzial? Gigantisch! Der erste Generalsekretär der UN, Trygve Lie, beschrieb seinen Posten einmal als den "unmöglichsten Job der Welt".

Gemessen daran, erscheint der Job von David Kim geradezu entspannt. Als Senior Game Designer für Starcraft II muss er lediglich die Balance von drei Rassen, sieben Ligen und fünf Regionen in Einklang bringen. In der Praxis ist die Starcraft-Community aber ein ähnlich komplizierter Haufen wie die UN. Warum tut man sich das seit 2009 an? Und wie bekommt man eigentlich so einen Job?

DER ZUFALL MACHT ES MÖGLICH


Auch wenn David Kims beruflicher Werdegang auf den ersten Blick zielgerichtet wirkt, hat ausgerechnet der Zufallsfaktor seiner Karriere einen entscheidenen Schub verpasst. Doch beginnen wir von vorn: David Kim wurde als "Kim Tae Hyun" am 24. Juli 1982 geboren und lebte bis zum Abschluss der Highschool in Südkorea. Die Leidenschaft für Computerspiele entfachte Anfang der 1990er-Jahre mit der Dragon-Ball-Reihe auf dem Super Nintendo. Mit 15 Jahren nahm sein Leben eine entscheidende Wende: Im Jahr 1998 erschien Starcraft I und David Kim entdeckte seine Leidenschaft für Echtzeitstrategie. Nach seinem Schulabschluss zog er nach Vancouver/Kanada, um dort Informatik zu studieren. Neben seinen Studium trat in der kompetitiven Szene von StarCraft 1 zusammen mit Spielern wie CuteBoy(gm) und ZeuS in Erscheinung, 2003 wechselte er zu Warcraft 3.

Quelle: Blizzard

Sein eigentlicher Plan war jedoch eine Karriere als Programmierer für RTS-Titel wie "Company of Heroes" und die "Warhammer 40.000"-Reihe. Er landete schließlich als Balance-Designer bei Relic. Nachdem Starcraft II im Rahmen des World Wide Inventational (WWI) 2007 in Seoul angekündigt wurde, bewarb er sich um einen Job bei Blizzard und fing bereits im Winter des gleichen Jahres in Irvine/Kalifornien an. Zunächst als Teil eines Kernteams von etwa 50 Spiele-Entwicklern, stieg er schnell zum Leiter des Departments Game Design auf. Neben seiner fachlichen Kompetenz und seiner praktischen Berufserfahrung im Bereich Balancing, begünstigte ein Faktor seine Karriere entscheidend. Sein ausgeprägter Skill-Level als aktiver Spieler konnte er mit allen drei Rassen gleichermaßen unter Beweis stellen. Als Random-Spieler galt er nicht nur innerhalb seines Teams, sondern auch in der Betaphase von Wings of Liberty als bester Spieler der jungen Szene. Neben dem frühen Legendenstatus lieferte diese Entscheidung David Kim zudem einen gleichberechtigten Blick auf die Stärken und Schwächen aller drei Rassen.

MISTER-50-PROZENT


David Kim ist mit seinem Team seitdem für die Balance zwischen Terranern, Zerg und Protoss im Multiplayer-Modus von Starcraft II verantwortlich. Das schließt die Rücksprache mit professionellen Spielern, die Auswertung von Turnierverläufen und Testmaps und die Analyse von Battle.Net-Statistiken ein. Die magische Zahl dabei lautet 50. David Kim hat seinen Job richtig gemacht, wenn jede Rasse in jeder Matchkonstellation eine durchschnittliche Gewinnchance von etwa 50 Prozent hat. Gar nicht so einfach, denn mit jeder Erweiterung kommen neue Variablen in Form neuer Einheiten ins Spiel. Zudem versucht er sich immer auch an grundsätzlichen Veränderungen der Spielausrichtung.

Vor allem die Betaphase soll Aufschluss geben, in welcher Weise sich neue Spielelemente in der Praxis auswirken und wie sie vorhandene Strategien beeinflussen. Auf dieser Spielwiese hat das Team um David Kim die größten Handlungsfreiheiten und weitgehend freie Hand für radikale Experimente und Änderungen im Gameplay. Für die Betaphase von „Wings of Liberty“ bleibt die Erhöhung des Supplycount der Roaches von einer auf zwei Versorgungseinheiten wohl am stärksten in Erinnerung. Während der Beta von „Heart of the Swarm“ fiel dann erstmals eine komplette Einheit, der ungeliebte Warhound, dem Team um David Kim zum Opfer. Verglichen damit verlief die Beta-Phase von Legacy of the Void geradezu geräuschlos. Den größten Aufreger produzierte eine vorübergehende radikale Vereinfachung der Makrofähigkeiten aller drei Rassen. Nach der Beta sind im Idealfall nur noch kleinere Anpassung vorgesehen. David Kim hat seinen Job dann gut gemacht, wenn er sich nach Beendigung der Betaphase möglichst wenig einmischen muss.

DAS SWARM-HOST-DEBAKEL


Doch auch nach der Betaphase entwickelt sich Starcraft II ständig weiter. Neue Mikro- und Makro-Mechaniken, Spieltaktiken und Strategien werden von Profis entwickelt und teilweise vom Mainstream adaptiert. Doch es wird noch komplizierter: In unterschiedlichen Ligen und Regionen werden verschiedene Strategien und Mechaniken bevorzugt, was die Gewinnchancen aller drei Rassen abhängig vom Skill der Spieler zusätzlich beeinflusst. Und am Ende des Tages muss Starcraft II für Spieler und Zuschauer ein attraktives Spiel bleiben. So reibungslos „Wings of Liberty“ lief, so desaströs entwickelte sich „Heart of the Swarm“ für David Kim. Mit der ersten Erweiterung wurde der Swarm Host eingeführt. Eine Belagerungswaffe der Zerg mit hoher Reichweite. Sie speit endlose Wellen an kostenlosen Geschossen und zermürbt damit den Gegner nach und nach. Was auf dem Papier innovativ und verheißungsvoll klang, entpuppte sich in der Praxis als Gift für den Spieler und Zuschauer. In endlos langen (und langweiligen) Gefechten standen sich die Spieler in oft stundenlangen Stellungskriegen gegenüber. Noch schlimmer: Im Spiel Zerg gegen Zerg führten die Swarm Hosts zu echten Pattsituationen. Nicht nur für die Spieler, sondern auch für das Publikum wurde Starcraft II zu einer unbefriedigenden Geduldsprobe.

Quelle: ESL

David Kim zeigte sich zunächst uneinsichtig und befand: „In Anbetracht der Ladder-Statistiken ist der Anteil der Partien, welche länger als 25 Minuten dauern vor allem unterhalb der Meister-Liga nicht erheblich.“ Als Lösung schlug er einen Nerf der Sporecrawler beziehungsweise der Abduct-Fähigkeit vor. Trotzdem zog Blizzard die Notbremse. Der 9. April 2015 sollte zum Schicksalstag für David Kim werden. Diesmal musste er weit mehr tun, als einige Stellschrauben bei Schaden, Reichweite und Panzerung drehen. Er war angesichts der anhaltenden Kritik von Profis und der Community gezwungen, erstmals nach Ablauf einer Beta, gravierende Änderungen vorzunehmen. Die Swarm Host wurden grundlegend umgebaut, aus einer Belagerungswaffe wurde eine Harrasment-Einheit. „Es ist kein Balance-Problem, das auf Statistiken beruht", beharrte Kim, "Das Problem besteht eher darin, dass dadurch das Spiel manchmal einfach langweilig wird”. Verantwortung wollte Kim also nicht übernehmen. Tatsächlich hat eine einzige Einheit es fertig gebracht, die Balance von Starcraft II nachhaltig ins Wanken zu bringen. Und David Kim hatte es nicht kommen sehen. Der Umbau der Swarm Hosts stellte sich als Alibi heraus, in aktuellen Partien bekommt man sie kaum noch zu sehen. Ein Makel, der an David Kims Arbeit bis heute haftet.

BALANCEAKT


Die Swarmhost-Episode war der Höhepunkt eines endlosen Dilemmas, in dem David Kim und sein Team seit Beginn von Starcraft II steckt. Jede noch so winzige Veränderung der Spielbalance ruft umgehend schrille Kritik seitens der Community hervor. Werden die Zerg gestärkt, heißt das zwangsläufig, dass die beiden anderen Rassen geschwächt werden. Nimmt Kim eine Änderung vor, die auf die Balance hochklassiger Ligen zielt, meckern die Casual-Spieler - und umgekehrt. Egal was er tat, tut oder tun wird. Egal ob sich die Änderungen im Nachhinein als Fluch, oder Segen entpuppen - Dankbarkeit und vor allem offener Hass seitens der Community wird immer ein Teil seines Jobs sein. Denn im Grunde geht es gar nicht so sehr darum, was genau er verändert. Die schiere Tatsache, dass es eine übergeordnete Person gibt, die "ihr Spiel" verändern kann, reicht oftmals aus, um die Community auf die Barrikaden zu treiben. Zudem ist es für Starcraft-II-Spieler furchtbar bequem, den Grund für eigenes Versagen im Spiel auszulagern.

David Kim als vermeindlich greifbare Persönlichkeit wird in diesem Moment zum willkommenen Ventil für Spieler, um sich über ihr eigenes Scheitern in Starcraft II erklärbar zu machen. David Kim ist ein klassischer Sündenbock. Die legendäre Parole „Nerf David Kim!“, die anlässlich seiner spielerischen Dominanz im Rahmen seiner Leistungen auf der Exhibition 2v2 auf der BlizzCon 2009 geprägt wurde, zeugt von einer Mischung aus Ehrfurcht, aber auch Skepsis an seiner Person. Mit all dem kann David Kim gut umgehen. Er nimmt sich selbst nicht sonderlich ernst, ist bis heute ein großer Fan des Progaming und fühlt sich noch immer pudelwohl in seiner Rolle als Gralshüter des Weltfriedens in Starcraft II. Wie so vieles hat auch diese Einsicht bei den Vereinten Nationen ein paar Jahre länger gedauert. Anfang 2007 übergab der scheidende UN-Generalsekretär Kofi-Annan den Vorsitz an seinen Nachfolger Ban Ki-moon mit den Worten: „Sie übernehmen nicht den unmöglichsten, sondern den besten Job der Welt.“ Keine schlechte Karriere für zwei Südkoreaner, die auszogen, um ihre Welt ein wenig gerechter zu machen.

Weltenlenker oder Reizfigur? Was denkt ihr über David Kim?

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Autor: Gerrit

Starcraft-Fanboy der ersten Generation, der trotzdem nie über die Platinliga hinausgekommen ist... aber inzwischen wunderbar damit leben kann. Ich suchte Sport und eSport und interessiere mich vor allem für die Wechselwirkungen zwischen beiden.

9. Januar 2016 - 23:17
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akaBoogeyman
Core
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18.08.2018 - 16:37
15.11.13
87

Ein wirklich wundervoller Beitrag. Es hat spas gemacht ihn zu lesen... Es ist wirklich einfach immer zu sagen "David Kim ist schuld" Er ist eine Person die nach den Pros die meiste aufmerksamkeit bekommt und das ist auch gut so.

10. Januar 2016 - 1:37
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Incognito
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07.11.2017 - 21:42
20.04.15
77
Ein sehr schön geschriebener Beitrag. Im Grunde ist in diesem Artikel alles beschrieben, was zum Thema David Kim gesagt werden kann. Dass sich Leute über Änderungen aufregen und die Balance des Spiels konstant kritisieren kann aber auch als Zeichen der Verbundenheit und Liebe zum Spiel gewertet werden. Man hat einfach angst, dass das geliebte Spiel durch bestimmte Balance- und Designentscheidungen in die falsche Richtung gestoßen wird. Wenn man jedoch die Gemüter ein wenig abkühlen lässt und neutraler die Sache Starcraft II betrachtet, muss man zwangläufig zum Schluss kommen, dass das Balancing-Team um David Kim recht gute Arbeit leistet. Denn im Grunde wissen wir doch alle, dass Starcraft II ziemlich ausbalanziert ist. Und überhaupt: vollkommene Balance wird man in einem Spiel nie finden - nicht, wenn man, wie in SC und co., verschiedene Rassen zur Auswahl hat.
15. Januar 2016 - 14:34
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NeoBlade
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02.10.2018 - 17:01
05.05.14
641

Ich meine auf TL gelesen zu haben, das David Kim mit RANDOM in 2012 Grandmaster war. Stimmt das?

15. Januar 2016 - 15:45
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zakadar
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22.09.2017 - 01:32
12.11.15
7

kann gut sein aber es gibt mehrere leute die mit RANDOM Gm sind so ist auch Canata der koreanische observer der proleague gm in korea seit ewigkeiten

17. Januar 2016 - 22:09
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Gerrit
Core
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15.01.2017 - 19:44
13.05.14
37

@neoblade: HeyHey: Laut meiner Recherche war er 2012 in der nordamerikanische Region Grandmaster. Mittlerweile hat er etwas zurückgesteckt und ist "nur noch" Master.