Kritiker, Neider und LotV-Neueinsteiger mögen die Lobeshymnen des Teasers verneinen, aber auch sie werden zähneknirschend zugeben müssen: Jang 'MC' Min Chul ist eine Legende. Mit über 500.000 $ an gewonnenen Preisgeldern ist er der erfolgreichste Starcraft II-Spieler aller Zeiten und auch seine Auftritte zählen zu den unterhaltsamsten der Vergangenheit. Ob Gangnamstyle hinter den ASUS ROG-Moderatoren oder Teemo-Gehüpfe nach einem Turniersieg, die Liste seiner Taten ist lang (und mehr als sehenswert). Unvergessen, auch wegen der langjährigen Nutzung der Bildaufnahmen für die Intel Extreme Masters - Werbeeinblendungen, bleibt für mich die Intel Extreme Masters 6 auf der CeBIT in Hannover.
Quelle: ESL
Während ich in schlechtem Englisch Inuh, den ich für MC hielt, um ein Autogramm bat, füllte sich die Halle mit begeisterten eSport-Enthusiasten, die sehnlichst dem Finale im damals bedeutend populäreren Starcraft 2 entgegenfieberten. Satte 35.000 $ waren für den ersten Platz angesetzt und nachdem sich Puma und MC unter anderem gegen MMA durchgesetzt hatten, war ein spannendes Finale garantiert. Terran-Spieler Puma ging schnell mit 2:0 in Führung, doch der 'BossToss' kämpfte sich erneut heran und konnte zum 2:2 ausgleichen. In einem Herzschlagfinale gelang es dem Protoss schließlich seinen Kontrahenten niederzuringen und unter dem Jubeln der Masse stürmte MC nach vorne und riß den auf der Bühne stehenden Pokal an sich. Gleich einem Eroberer streckte er die Trophäe in die Höhe und brannte sich so bis heute in die Erinnerungen seiner Zuschauer; was für eine Schlacht!
Jeder fängt klein an
Fast schon nostalgisch wirkt angesichts eines solchen Moments der Blick auf die Anfänge des 'BossTosses', denn das Sieger-Gen bekommt man nicht in die Wiege gelegt - man muss es sich erarbeiten. Was viele nicht wissen: MC war bereits BroodWar-Progamer, allerdings unter einem anderen Namen. Als 'Iron' war Jang Min Chul bei MBCGames B-Team unter Vertrag, konnte sich aber nicht in der starken Szene durchsetzen und blieb daher weitestgehend unbekannt. Erst mit dem Release des Nachfolgers, Starcraft 2: Wings of Liberty, erschien für ihn die Möglichkeit, sich einen Namen zu machen. Als erster Progamer setzte er alles auf eine Karte, wechselte mit dem Team oGs zum frisch erschienen Titel und nahm einen neuen Namen an - bestehend aus den Kürzeln seines Vornamens: MC.
Zu dieser Zeit war dies ein gewagter Schritt. Blizzard hatte keinerlei Unterstützung in der harten koreanischen eSport-Szene, da die KeSPA sich zunächst weigerte Starcraft 2 in ihr offizielles Programm aufzunehmen. Somit musste BroodWars Nachfolger, zumindest bis zur Aufnahme im Mai 2012, alleine bestehen und ohne die großen koreanischen Teamhäuser Jin-Air, SK-Telekom und Co. auskommen, die per Vertrag an die Spiele der KeSPA gebunden waren. Dass sich dieses Risiko auszahlen sollte, ist längst bekannt.
Quelle: GOMTV
Da Blizzard offizielle Unterstützung verwehrt blieb, arrangierte man sich mit GOMTV und rief so die GSL ins Leben. Hier sollte der Aufstieg MCs beginnen. Er qualifizierte sich erfolgreich für das Turnier, wurde aber in der ersten Saison von Polt und später in der zweiten von Nestea besiegt. Der Volksmund weiß allerdings: Aller guten Dinge sind drei und so konnte er nach Siegen über July, MarineKing, Jinro und zuletzt Rain als erster Protoss die GSL gewinnen. Die veranschlagten 89.000$ waren das erste Preisgeld seiner Karriere und sie sollten Lust auf mehr machen.
In den folgenden Seasons wurde MC zum Dauergast in der Code S, der höchsten Liga der GSL, und gewann im März als erster Spieler überhaupt ein zweites Mal den begehrten Titel. Leider fiel er nicht nur durch seine Leistungen, sondern ebenso mit einigen grenzwertigen Aktionen auf. Dancing Zealots und ein Proxy Nexus nach dem offensichtlichen Besiegen des Gegners gelten auch heute noch als bad mannered und zeugten wenig vom guten Verhaltens des Siegers. Sein Hang zum extravaganten Benehmen sollte sich auch später wie ein roter Faden durch seine Karriere ziehen, aber ingame sollten dies die einzigen Vorfälle dieser Art bleiben.
Diese ersten Siege in der heimischen Liga sorgten dafür, dass der in seiner Heimat aufgrund seiner Auftritte auch als Suicidetoss bekannte Südkoreaner in der folgenden Zeit auch an ausländischen Turnieren teilnehmen konnte. Egal ob die DreamHack in Europa oder Starswar Killer 6 in China, mit dem Selbstvertrauen der vergangenen Monate im Rücken gewann MC alle Turniere souverän und konnte sich über mehrere zehntausend Euro an Preisgeld freuen. Der Bosstoss schien auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines Könnens.
Einmal um die Welt
In den folgenden Monaten reiste Min Chul um den ganzen Globus und nahm an den verschiedensten Turnieren teil. IEM, Dreamhack, MLG und GSL forderten die Jetlag-Resistenz des Protoss heraus und so gewann er zwar weiterhin gute Preisgelder, aber Finalgewinne blieben ihm vielleicht auch deswegen meist verwehrt. So dauerte es fast ein halbes Jahr bis er wieder ein größeres Turnier für sich entscheiden konnte. Im beschaulichen Krefeld gewann er die vierte Ausgabe des Homestory-Cup und kündigte somit die zweite Runde an großen Triumphen an.
Quelle: SK-Gaming
Nun zusätzlich unter dem Banner von SK, zumindest außerhalb Koreas, stand auch sein Sieg bei den Intel Extreme Masters 6 bevor. Bereits vor dem Finale gegen Puma konnten die Zuschauer eine der berühmten englischen Ansprachen MCs genießen. Während Puma mit Übersetzer verlauten ließ, dass er von einem 3:1 ausgehe, antwortete sein Kontrahent in gebrochenem Englisch, dass sie zwar Freunde seien, er ihn aber trotzdem 3:0 abfertigen würde. Zwar musste MC in den folgenden Matches zwei Maps abgeben, gewann aber trotzdem und holte sich unter tosendem Beifall den Sieg und damit auch den Pokal.
Abgerundet mit dem ersten Platz bei den Red Bull Battlegrounds in Austin konnte Min Chul schließlich auf eine erfolgreiche erste Jahreshälfte in 2012 zurücksehen. Bereits zu dieser Zeit zeigte sich ein erster Hang des Südkoreaners, äußerst gern in europäischen Wettbewerben zu spielen. Dies sollte sich fortsetzen und seinen Fokus immer ferner seiner Heimat ziehen. Zwar konnte er zum Ende der Wings of Liberty - Ära noch einen zweiten Rang in einer GSL-Saison verbuchen, aber seine Preisgelder sammelte er überwiegend außerhalb Koreas.
Mit dem Release von Heart of the Swarm schien der Stern des einst stolzen Bosstosses im Sinken begriffen zu sein. Die Resultate waren nurnoch mittelmäßig und seine Performance reichte kaum noch aus, um sich in der GSL zu halten. Doch wie bereits zuletzt bot eine andere Region eine Möglichkeit seinen Wert erneut unter Beweis zu stellen. Europa war vor dem verhängnisvollen Region-Lock ein willkommenes Fressen für willige Koreaner und so versuchte auch MC sein Glück. Er zeigte eine gute Leistung und konnte so bereits bei seinem ersten Versuch in der WCS eine Silbermedaille ergattern.
Quelle: ESL
Daraufhin entschied er sich, seinen Fokus vollkommen auf außerkoreanische Events zu legen. Die restliche Welt bot ihm die Bühne, die er brauchte, um seiner Karriere den letzten Schliff zu geben. Im folgenden sammelte er abermals viele zweite Plätze - so bei den Intel Extreme Masters 8, dem Homestory-Cup 9 und der folgenden Saison der WCS Europe. Ein letzter großer und somit finaler Sieg sollte aber noch kommen. In der erste WCS-Season des Jahres 2014 krönte sich der alte Gott der Erstgeborenen ein letztes Mal zum König eines Turniers und bezwang alle Kontrahten auf seinem Weg an die Spitze.
Das Ende einer Legende
Dies war der letzte bedeutende Sieg seiner Einzel-Karriere und brachte MC auf knapp unter 500.000$ Gesamtpreisgeld. Die Kirsche, die den Schokoeisbecher über 500.000$ heben sollte, folgte aber erst deutlich später. Nachdem im Juni 2015 Min Chul offiziell per Twitter seinen Rücktritt vom Profi-eSport verkündete, wurde er von seinem gute Freund HuK noch einmal reaktiviert, um gemeinsam an einem Archon-Turnier von Blizzard teilzunehmen. Dieses gewannen sie entgegen aller Erwartungen und durch die 15.000$ Siegerprämie konnte der BossToss zuletzt doch die magische halbe Millionen knacken.
Somit ist er neben Jaedong und Flash der Spieler mit dem höchsten Gesamtverdienst an Turniergeldern in der Geschichte Starcrafts und sogar der mit Abstand erfolgreichste außerhalb der ehemaligen Broodwar-Szene. Diese Zahlen sprechen für sich, aber auch der Playstyle des Protoss wird in Erinnerung verbleiben. Die Fülle an Taktiken und die teils skurrilen Auftritte werden den Fans auf ewig im Herzen bleiben. Welcher Moment dabei der Magischste ist, bleibt jedem selbst überlassen.
Wer bisher noch arm an solchen Erlebnissen mit dem BossToss ist, brauch aber nicht verzagen. Zwar hat MC seine professionelle Karriere beendet, aber Starcraft steht bei dem Koreaner weiterhin fest im Programm. Statt komplett von der Bildfläche zu verschwinden, macht dieser nämlich Twitch unsicher und das sogar Vollzeit. Wer also auf der Suche nach einer echten Koryphäe ist und sich den Erstgeborenen verbunden fühlt, sollte definitiv vorbeigucken!
Schöner Artikel und gut geschrieben :)
Hättest villeicht noch erwähnen können das MC auch noch bei dem HSC XII den zweiten Platz gemacht hat.
Das wusste ich garnicht. Muss auch ehrlich gestehen, dass ich mich bei Titelgewinnen nur auf Liquipedia belesen habe. Ich dachte, dass diese Liste vollständig ist.
Danke für die Zusatzinfo ;)
Und er ist mittlerweile ja auch zurückgekehrt aus seinem Ruhestand und spielt nun für CJ Entus.