Im Alter von 31 Jahren klagte Ludwig van Beethoven das erste Mal über ein vermindertes Hörvermögen. Es war das anfängliche Wehklagen dessen, das ihm wenige Jahrzehnte später seine vollständige Hörkraft rauben sollte. Später im Jahr 1801 verfasste er mit der Sonate No. 14 eines seiner bekannteren Werke - die Mondscheinsonate. Knapp 200 Jahre später sollte diese in Mondlicht getauchte Sonate ihren Weg in ein Videospiel finden. Die großen Väter der klassischen Musik sind seit Jahrhunderten tot. In Capcoms Horror-Pionier Resident Evil wurde eine ganze Szene dem Spieler und dem Klavier gewidmet, auf dem die so wundervoll zum Spielgefühl passende Sonate erneut zum Leben erweckt wurde. Eine so eindrückliche Szene, in der mitten im Chaos und dem Wahn ein Klavier es vermag, einen Moment der Besinnung zu erzeugen. Dennoch wird die so tragische Melodie von den schlurfenden Schritten der draußen lauernden Zombies untermalt und gibt dem Spieler abermals das Gefühl, in diesem riesigen Herrenhaus den Tod zu finden. Selbst das jüngste Kunstmedium, die Videospiele, kommen nicht ohne sie aus. Ein Kommentar über die Essenz guter Videospielmusik und die Gefahr, die ihr droht.
Große Gefühle im großen Orchester
Nachdem der 30-köpfige Chor verstummt, setzen die Streicher ein. Zwei Kontrabässe werfen ihre düsteren Schatten über das Ensemble. Violinen kommen hinzu, sie werden lauter, sie werden schneller. Dann kommt es: das große Crescendo. Posaunen setzen ein, das gesamte Orchester spielt fortissimo - nur um dann zu verhallen. Die Aufnahmen des Soundtracks zum Action-Adventure Bloodborne sind ein Sinnbild für den aktuellen Stand klassischer Musik in Videospielen. Sie ist aufwendig, teuer und sie braucht wesentlich mehr, als nur einen Produzenten und sein Mischpult - und doch wird sie so gerne benutzt. Denn sie ist die präziseste Möglichkeit, ein Spiel und seinen Subtext gekonnt zu untermalen. Ob nun der epische Kampf von Kratos gegen den Meeresgott Poseidon in "God of War 3", die Begegnung mit Soleiyu in "Castlevania" oder das beinahe surreale Erlebnis mit Sander Cohen in "Bioshock".
Ein Chor nimmt den Soundtrack zu "Bloodborne" auf / Quelle: Sony
Die Musik ist eine der wichtigsten Komponenten in Videospielen. Die Auswahl der Songs, die der Entwickler auf die Liste des Soundtracks setzt, wird ganz erheblich die Mischung an Gefühlen beeinflussen und erzeugen, die wir im Verlaufe des Spiels empfinden. Das ikonische Aufeinandertreffen mit Sander Cohen in Bioshock wird im Spiel mit dem Blumenwalzer aus Tschaikowskis Nussknacker unterlegt - beinahe tanzend bewegen wir uns durch die Gegnermengen. Ohne diese Musik ist diese Szene weder beeindruckend, noch einprägsam oder berührend. Dass weder schöne Grafik, noch ausgefeiltes Gameplay allein ein Spiel so richtig gut machen, das beweisen die Spiele meiner Kindheit. Titel wie Final Fantasy 8 aus dem Hause Square Enix oder Metal Gear Solid sind kurz vor der Jahrtausendwende erschienen und haben hauptsächlich durch ihre Story und ihre Musik gepunktet. In Puncto Grafik haben sich Entwickler zu diesem Zeitpunkt das erste Mal an Polygone herangewagt und zaghaft - und technisch limitiert - ein, zwei oder drei davon in jede Figur gesteckt. Das nach heutigen Maßstäben unbeeindruckende Ergebnis, kombiniert mit einer hakeligen Steuerung, technischen Problemen und Mängeln beim Gameplay, lenkte den Fokus auf die anderen künstlerischen Aspekte von Videospielen - unter anderem auf den Soundtrack.
Der Kostendruck trifft auch Violine und Posaune
In den kommenden anderthalb Dekaden sollte die klassische Musik nach wie vor eine tragende Rolle in der musikalischen Gestaltung von Videospielen innehaben. Viele moderne Titel wie Bioshock, Bloodborne und God of War, die in diesem Zeitraum erschienen sind, verwendeten orchestrale klassische Musik, um ihre epischen Kämpfe, ihre finsteren Szenen und alle emotionalen Nuancen gekonnt zu untermalen. Je weiter wir aber auf das Jahr 2016 zusteuern, desto kostspieliger wurde die Entwicklung von Videospielen. Ganze Heerscharen an Art Directors, Komponisten, Entwicklern, Zeichnern und Schreibern werden gebraucht, um Spiele wie Uncharted 4 oder The Division zu produzieren. Während das Action-Adventure Uncharted 2: Among Thieves aus dem Jahr 2009 noch relativ harmlose 20 Millionen Dollar verschlungen hat, kostete The Witcher 3 das polnische Studio CD Projekt Red ganze 73 Millionen Dollar. Die Produktionskosten des MMO-Shooters Destiny werden sogar im dreistelligen Millionenbereich geschätzt.
Noten für die Musik aus The Witcher 3 / Quelle: musescore.com
Da müssen sowohl Publisher, als auch Entwickler an allen Ecken Einsparungen vornehmen, um die Verkaufserwartungen ihrer Spiele nicht über die sieben Milliarden Erdeinwohner hinaus zu treiben. Und diese Einsparungen finden bisweilen auch an der Musikproduktion statt. Wesentlich günstiger, als 20 Streicher und einen 30-köpfigen Chor von der Philharmonie ins Studio zu schleifen, ist die Einbindung elektronischer Musik in den Soundtrack. Spiele wie das heiß erwartete The Division von Ubisoft vermischen klassische Musik immer mehr mit elektronischen Komponenten. Das sorgt nicht nur für einen ganz zum düsteren Setting passenden "gritty Soundtrack", nein - das drückt auch die Kosten. Electronic Arts trieb diese Entwicklung bereits 2011 mit dem Shooter Battlefield 3 an die Spitze - und veröffentlichte ein elektronisch verzerrtes Theme zum Spiel. Überall, wo es nur annähernd zum Setting des Spiels passt, werden günstigere Elektro-Soundtracks den rein orchestralen Aufnahmen vorgezogen.
Der offizielle Launch-Trailer zu Battlefield 3 samt Titelmusik.
Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele von Entwicklern, die besonders viel Mühe in die tragende Rolle der Videospielmusik investieren. Der Indie-Hit Bastion beispielsweise beinhaltet einen Soundtrack des kalifornischen Songwriters Darren Korb, der in gekonnter Art und Weise das eher durchschnittliche Gameplay zu einem Bestseller verwandelte. Für das Reboot der Devil May Cry-Reihe produzierte die US-amerikanische EBM-Band Combichrist sogar ein eigenes Album. Zwar komplett ohne Komponenten klassischer Musik - dafür mit erheblichem Aufwand und starkem Einfluss auf das Spielgefühl. Im Allgemeinen lassen elektronische Soundtracks aber die Flexibilität vermissen, mit der klassische Musik mit ihrer breiten Auswahl an Instrumenten und Klängen jede Szene unterlegen kann. Dabei darf auch gerne auf zum Setting passende instrumentelle Musik ausgewichen werden, so wie es CD Projekt Red bei The Witcher 3 gemacht hat. Die Titelmusik von Civilization IV hat mit Ron Ragin und dem Soweto Gospel Choir den ersten Grammy für Videospielmusik überreicht bekommen.
Ludwig Van Beethoven hat vor knapp 200 Jahren selbst in kompletter Taubheit großartige, berührende Werke geschaffen. Alleine deshalb sollten sich auch heute noch Entwickler darüber im Klaren sein, was für große Emotionen klassische und gekonnt instrumentelle Musik beim Spieler auslösen kann - und diese Chance für sich entdecken.
Was denkt Ihr? Ist Euch klassische oder elektronische Musik in Videospielen lieber?
Ich bin auf jedenfall für Klassische Musik! :D Nicht nur das sie zum Träumen einläd, was Fantasy Welten ebenfalls tuen, sie beruhig und klingt so sanft im Hintergrund dass man sie kaum wahrnimmt. Gutes Beispiel hierfür finde ich The Last of Us! Die Musik ist dezent und extrem Atmosphärisch :3 Und wer von euch schon mal The City of Prague Philharmonic Orchestra auf der Gamescom gesehen hat (oder sonst wo) wie es Stacraft Themes spielt (und andere epische Game-Soundtracks) hatte sicher auch Gänsehaut :3
Achja! Und schöner Artikel! Das musste noch gesagt werden :3