"Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich muss mich wohl entschuldigen: Leider habe ich die Erwartungen der Zuschauer nicht erfüllt. Ich fühle mich machtlos." Lee Sedol, einer der besten Go-Spieler der Welt, bringt die Gemütslage einer ganzen Szene auf den Punkt. Der 12. März 2016 markiert einen historischen Wendepunkt für das strategische Brettspiel GO, das auch als Grundlage für eSport-Titel wie Starcraft gilt. Entgegen der meisten Expertenmeinungen schlägt die künstliche Intelligenz (KI) AlphaGo der Google-Tochter DeepMind den favorisierten menschlichen Gegner in einem Best-Of-Five vorentscheidend mit 3:0. Zwei Tage später soll dem Südkoreaner lediglich der Ehrenpunkt gelingen. Am Ende steht es 4:1 für die Maschine.
Next Level: Starcraft 1
Fragt man Jeff Dean, einen der leitenden Wissenschaftler im Bereich künstliche Intelligenz bei Google, nach einer neuen Herausforderung im Bereich der künstlichen Intelligenz, ist seine Antwort klar: "Starcraft wird voraussichtlich unser nächstes Ziel sein." Im Gegensatz zu Brettspielen wie Go und Schach sei Starcraft ein Spiel mit unvollständiger Information, das eine künstliche Intelligenz laut Google DeepMind-Gründer Demis Hassabis vor eine weitaus größere Herausforderung stelle. Die immer noch vitale Szene von Starcraft: Brood War reagierte prompt. Vorsichtig optimistisch äußerte sich der ehemalige Brood-War-Champ Lee "Flash" Young Ho frisch aus dem Ruhestand im Gespräch mit SBS News: "Ehrlich gesagt denke ich, dass ich gewinnen könnte. Der Unterschied zu Baduk [Go] ist, dass beide Seiten nicht genau wissen, was beim anderen passiert und du darauf angewisesen bist, Informationen zu sammeln." Ungleich deutlichere Worte fand eine andere terranische Brood-War-Legende: "Selbst wenn die KI alle Strategien studiert hat, die ich jemals eingesetzt habe, werde ich einfach ein neue vorbereiten." Der selbstbewusste Lim "BoxeR" Yo Hwan brachte sich bei dieser Gelegenheit gleich als möglicher Gegner für die KI ins Spiel: "Bei Starcraft 1 liegen meine Wurzeln. Das habe ich gespürt, nachdem ich wieder ein paar Turniere bestritten habe. Es wäre sehr reizvoll, die Menschheit gegen eine Maschine vertreten zu dürfen. Wenn eine entsprechende Herausforderung kommt, werde ich mich ihr liebend gerne stellen."
Gibt sich ähnlich siegessicher wie der geschlagene Go-Champ Lee Sedol: Lim "BoxeR" Yo Hwan
Quelle: wellplayed.org
Maschinenträume
"Träumen Androiden von elektrischen Schafen?", fragte der Science-Fiction-Autor Philipp K. Dick 1968 in der Buchvorlage zum späteren Kultfilm Blade Runner. Was damals wie ein ferner Traum wirkte, rückt mit der Weiterentwicklung immer ausgefeilterer künstlicher Intelligenzen wie AlphaGo in greifbare Nähe. Grundsätzlich verfolgt die Forschung auf diesem Gebiet seit ihren Anfängen in den 1950er-Jahren das Ziel, menschenähnliche Intelligenz zu simulieren. Unterschieden wird zwischen so genannten schwachen KIs, die konkrete Anwendungsprobleme lösen und menschliche Intelligenz nur in eng abgesteckten Bereichen simulieren können, und starken KIs. Letztere besitzen ein eigenes Bewusstsein, Selbsterkenntnis und Empathie, ihre intellektuellen Fähigkeiten übertreffen die des Menschen - Zukunftsmusik bis heute. Benebelt vom Zeitgeist grenzenlosen Forschungsoptimismus, prognostizierte der Sozialwissenschaftler Herbert Simon bereits 1957 eine künstliche Intelligenz als Schachweltmeister innerhalb der nächsten zehn Jahre. Obwohl der Thronsturz im Spiel der Könige erst mit dem Sieg der von IBM entwickelten KI Deep Blue über den amtierenden Weltmeister Garry Kasparov im Jahre 1997 eintreten sollte, gelingen im Bereich der schwachen KIs regelmäßig rasante Fortschritte.
Der Beginn vom Ende: Garry Kasparov 1997 im Duell mit Deep Blue
Quelle: media.web.britannica.com
Grund dafür ist auch der interdisziplinäre Austausch mit den Feldern der Psychologie, Mathematik, Philosophie und Kommunikationswissenschaften. In den 1980er-Jahren rückte zunehmend die Neurophysiologie in den Fokus des Interesses, was zahlreiche Fortschitte nach sich zog und unter anderem die künstliche Intelligenz AlphaGo ermöglicht hat. Als Teil der so genannten schwachen KIs beherrscht es ausschließlich das Brettspiel Go. Statt wie Deep Blue auf stumpfe Brute-Force-Algorithmen zurückzugreifen, bei dem alle denkbaren Lösungswege hintereinander durchgespielt werden, bedient es sich der Lernmethode tiefer neuronaler Netzwerke . Es ist eine smarte, eine lernende Maschine, die adaptieren und situativ bewerten kann. Eine künstliche Intelligenz, die menschliche Starcraft-Spieler schlagen kann, müsste darüber hinaus eine zentrale Anforderung erfüllen, die bislang ausschließlich starken KIs zugeschrieben wird: Sie muss Entscheidungen bei Unsicherheit treffen können. Der nächste evolutionäre Schritt wäre demnach auch ein Schritt weg von schwachen und hin zu starken KIs. Starcraft ist dafür allen Anschein nach das ideale Testgebiet.
Prometheus und das Feuer
Neben der Frage, was technisch machbar ist, stellt sich auch die der ethischen Vertretbarkeit. Die Entwickler von Google DeepMind bezeichnen ihre künstliche Intelligenz gerne als „neuronale Turingmaschine“. Das spielt auf den britischen Mathematiker und KI-Pionier Alan Turing an, nach dem unter anderem auch der so genannte Turing-Test benannt ist. Dabei handelt es sich um ein bis heute populäres Prüfverfahren, um künstliche Intelligenz nachzuweisen. Demnach besäße eine Maschine menschliches Denkvermögen, wenn sie ein Testkandidat ohne Hör- und Sichtkontakt nach einer Reihe von Fragen nicht von einem Menschen unterscheiden könne. Am Ende einer solchen Entwicklung stünde eine von Menschen geschaffene, intellektuell überlegene Lebensform. Die philosophische Bewegung des Transhumanismus, die nicht zufällig genau wie die Konzernmutter von Google DeepMind aus dem Silicon Valley stammt, steht solchen Entwicklungen uneingeschränkt positiv gegenüber: ein solcher Schöpfungakt ist für sie in letzter Konsequenz Teil der menschlichen Bestimmung, Vermächtnis und Teil der eigenen Gottwerdung? Es geht ihnen um technischen Fortschritt in Form einer Überwindung der unvollkommenen menschlichen Natur. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Kritiker aus Wissenschaft und Popkultur. Im Film "Prometheus" von Regiesseur Ridley Scot aus dem Jahre 2012 sind Menschen selbst eine Form von Bio-KI. Sie werden dafür bestraft, dass sie ihrerseits Androiden mit künstlicher Intelligenz konstruieren. Der Tenor: Wenn Menschen Gott spielen, indem sie menschenähnliche Wesen erschaffen oder nach eigener Unsterblichkeit streben, ist diese Hybris zwangsläufig zum Scheitern verurteilt - wie beim Titanen Prometheus, der in der gleichnamigen griechischen Sage als göttliche Strafe an einen Stein gekettet Tag für Tag Qualen dafür erleiden muss, dass er den Menschen den göttlichen Funken des Feuers überbracht hat.
Spielregeln
Abseits philosphischer Erwägungen sind bei einem Duell Mensch vs. Maschine in Starcraft vor allem technische Fragen zu klären. Eine zentrale Rolle spielt hier eine Beschränkung der Aktionen pro Minute (APM). Einer KI, die über unbegrenzte Kapazitäten an APM verfügt, steht jederzeit ein perfektes Mikro zur Verfügung. Das schwächt die Wirkung von Nahkämpfern und Einheiten mit Flächenschaden erheblich und macht Spielmechaniken wie Splitting oder fokussiertes Feuer übermächtig. Wie so etwas in der Realität aussehen könnte, hat ein schwedischer Starcraft-Fan namens "blid" bereits 2011 eindrucksvoll demonstriert. Zusammen mit einem Freund konzipierte er die Mikro-KI "Automaton 2000" und stellte deren Fähigkeiten anhand verschiedener Szenarien unter Beweis. Beim Marine-Split-Battle stattete er die KI mit 15.000 APM aus.
Starcraft-2-Caster Dan "Artosis" Stemkoski bezeichnet in seiner Kolumne für espn.com ein solches Szenario als faule "Abkürzung", um menschliche Progamer zu schlagen, ohne ihnen strategisch überlegen zu sein. Es gehe vielmehr darum, eine KI zu erschaffen, die Strategien versteht, adaptiert und die richtigen Entscheidungen trifft. Stehen die Spielregeln erst einmal fest, dann wirft eine Auseinandersetzung zwischen KI und einem menschlichen Starcraft-Spieler zahlreiche spannende Fragen auf: Welcher Spieler sollte die Ehre der Menschen verteidigen? Wer entscheidet, welche Rasse die künstliche Intelligenz spielt? Wählt sie womöglich selbst und - wenn ja - welche wird sie am aussichtsreichsten bewerten? Welche Strategien wählt das Programm, wie passt es sich dem Spiel seines Kontrahenten an? Und vielleicht am Wichtigsten: Kann das Event das festgefahrene Metagame des beinahe 20 Jahre alten Titels neu beleben? Bei dem historischen Go-Event überraschte die Google-Software AlphaGo mit einigen unkonventionellen und kreativen Spielzügen, die in der jahrhundertehalten Tradition des Spiels kein anderer Mensch als zielführend befunden hatte.
In naher Zukunft könnte ein weiteres Beben Südkorea erschüttern. Dann nicht in der Go-Szene, sondern im Koprulu-Sektor. Und möglicherweise muss sich anschließend "BoxeR" zerknirscht der Presse stellen und sagen: "Ich fühle mich machtlos."
Mensch oder Maschine? Wer würde eurer Meinung nach in Starcraft triumphieren?
Hab mich schon gefragt wann da was von euch zu kommt :) Schöner Artikel!
Ich denke das ist keine Frage des "ob" sondern eine Frage des "wann".
Und dies ist ebenfalls die Antwort auf die Frage ob wir den Alpha-Status auf diesem Planeten abgeben werden.
@Bautsch: Sehr schön formuliert :)
Das denke ich nicht. Intelligenz ist nicht gleichzusetzen mit Bewusstsein und von KIs als solchen geht für die Menschheit eigentlich keine Gefahr aus. DIe Programmierung von KBs hingegen ist nicht nur bisher unmöglich, sondern erfüllt auch nicht wirklich einen besseren Zweck, bei höherem RIsiko und höherem moralischen Konfliktpotenzial.
Es wird also sowieso noch eine Weile dauern, bis es KBs gibt und zu diesem Zeitpunkt sind "wir" wahrscheinlich noch ein ganzes Stück weiter entwickelt. Die ersten KBs werden vermutlich als Außenseiter mit weniger Rechten gesehen werden, irgendwann gibt es dann vermutlich eine Integration. Zur Vorherrschaft von ihnen wird das aber eher nicht führen.
@Thorogmar: Vielen Dank, freut mich. Tatsächlich habe ich ein paar Tage an dem Artikel geschraubt, deshalb erst der Release am Donnerstag. @Someone: Ich stimme dir zu. Einen konkreten wirtschaftlichen Zweck dient die Entwicklung eines künstlichen Bewusstseins sicherlich nicht. Aber häufig werden Forscher von anderen Motiven bspw. "Machbarkeit" - AlphaGo ist daür ja ein gutes Beispiel. Persönlich kann ich mir ein künstliches Bewusstsein, bzw. eine starke KI auch nicht vorstellen. Tatsächlich werden innerhalb der KI-Forschung immer weitere Schranken eingerissen, die per Definition starken KIs zugeschrieben werden. Möglich also, dass über die evolutionäre Entwicklung der schwachen KIs irgendwann eine künstliches Bewusstsein hervorgeht.
Wenn man sich die Automaton Videos anschaut ist die Frage "Mensch oder Maschine" doch schon beantwortet. Natürlich kann man die KI in puncto APM limitieren, aber man kann genauso den Menschen blind spielen lassen. Beide können mit Behinderung nicht ihr volles Potenital entfalten und ich denke darauf kommt es doch eigenltich an. Warum sollte man eine Partei limitieren, die andere nicht und das dann einen fairen Kampf nennen? Es wird ja auch nach einem der besten Starcraft Spieler gesucht werden und nicht nach jemandem der das Spiel nicht kennt.
Zu dem "Alpha-Status" des Planeten denke ich auch, dass irgendwann eine KI überhand bekommt. Man wird immer weiter Forschen, immer größere Durchbrüche haben, bis man aus Größenwahn, Machtgier, Profit oder sont einem Grund an einen Point of no return kommt und es eine KI gibt die zu stark ist. Über das Internet hat sie Zugriff auf alle vernetzen Systeme, Infrastruktur wie Autos, Kraftwerke, Smartphones und alles Wissen der Menschheit kann sich vllt. tausende male selbst reproduzieren, sich die Rechenleistung von Großcomputern holen o.ä. und hat damit schon die komplette Kontrolle :D
Abseits davon, toller Artikel!
Immer wieder ein spannendes Thema.