Taktklicker und Plastikgitarrenspieler wissen: Auch Musikspiele sind harter Wettkampf. Fernab der Hauptstraßen des modernen eSports hat sich eine Subkultur gebildet, die seit Jahren eine ganz eigene Nische belegt. Hier werden keine taktiklastigen Schlachten geführt und auch keine Items und Verbesserungen gekauft - hier gibt es nur den Song und dich. Dabei sammelt man durch richtiges Spielen Punkte, während Fehler eben jene kosten. Folglich dreht sich alles um das Rhythmusgefühl des Gamers. Wer das Lied seiner Wahl nicht wieder und wieder trainiert, hat kaum eine Chance weit oben in den Ranglisten aufzutauchen.
Der Onlinewettkampf ist hart. Und so muss zwangsläufig von eSport geredet werden wenn man sich viele Titel dieses Genres anguckt. Hier kommt es nicht auf Glück an, sondern auf pures Können und die nötige Leidenschaft, um lange genug am Ball zu bleiben. Daher werden wir uns in dieser Ausgabe von 'Eine andere Form des eSports' nach Speedruns und Pokemon den Musikspielen zuwenden. Denn auch wenn das Dasein der Musikspiele momentan nur in einer Nische der gigantischen eSports-Kultur stattfindet, hat dieses Genre alles, was es dafür braucht: Spannende Partien und hochklassigen Wettkampf.
Am anfang war die Musik
Es stellt sich unweigerlich die Frage: Wie beeinflusst Musik unser Rhythmusgefühl? Die meisten Leute kennen das Gefühl, wenn man einen guten Song mit ordentlich Ohrwurmpotenzial im Radio hört. Der Rhythmus geht ins Ohr und ganz unfreiwillig beginnt man mitzusummen, mitzupfeifen oder sogar den Fuß im Takt zu bewegen. Dabei ist nur wenigen bewusst, warum gerade Musik eine solche Wirkung auf den menschlichen Körper hat - und die Antwort wird viele überraschen. Der Körper überlässt der Melodie und dem Takt einen Teil seiner Arbeit! Das Koordinieren von Bewegungen ist Höchstleistung für unserer Gehirn und verbraucht viel Energie. Da macht es doch Sinn, einfach den Rhythmus der Musik zu übernehmen und so Aufwand einzusparen. Somit sorgt Musik schlicht und ergreifend dafür, dass uns Bewegungen im Takt einfacher fallen und wir so unsere körperliche Leistung erhöhen können. Wie sich diese und noch mehr Kenntnisse aus einer Studie der Brunel Universität aufs unser liebstes Hobby anwenden lassen, haben wir bereits in einem früheren Artikel ausprobiert, den wir dem Leser wärmstens ans Herz legen.
Quelle: Brunel University London
Aus dieser Einsicht folgt somit, dass Rhythmusspiele ohne Musik oder Klang deutlich schwerer ausfallen. Außerdem besitzen sie eine wesentlich kleinere Community als die großen eSport-Titel. Deswegen sind die Spiele mit einer Melodie für unser Thema besonders interessant - die Musikspiele.
Will man die Geschichte eines Genres beleuchten, beginnt man normalerweise mit dem ersten Titel. Was aber, wenn die Wahl eines ersten Vertreters schwer fällt? Nimmt man das erste technische Spielzeug, dass mit Musik ausgestattet das Rhythmusgefühl seiner Spieler auf die Probe stellte? Oder doch die erste Bildschirmanwendung dieses Spielkonzepts? Nein. Stattdessen befassen wir uns mit dem ersten Musikspiel, das den Durchbruch schaffte. Dieses findet man, wie auch den Ursprung des eSports, in den Arcadehallen wieder und hört auf den heute noch bekannten Namen "Dance Dance Revolution".
Bei Bonjwa haben wir eSport-Begeisterte aus allen Altersgruppen. Den Jüngeren unter uns sollte dann besser erklärt werden, dass sich hinter dem Begriff „DDR“ etwas komplett unpolitisches versteckt. Dieser Titel war im Jahre 1998 das erste Tanzspiel in den Arcadehallen, dass mit einer sogenannten Tanzmatte ausgestattet war. Dies ermöglichte bewegungsfreudigen Gamern das Eingeben der Richtungsbefehle mit Hilfe ihrer Füße - was, ähnlich wie echtes Tanzen, eine Wissenschaft für sich wurde. Schnell wurde dieser Titel auch ein Begriff unter Leuten, die sonst nicht in Arcadehallen gingen. Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Sogar erste Turniere wurden veranstaltet und ein damals noch relativ unbekanntes Vidospielportal namens IGN berichtete im Jahr 2000 darüber. Diese erste Verknüpfung von Bewegung und Musik zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Genre bis heute (dessen Ausnahme amüsanterweise das Spiel "osu!" bildet).
Doch auch wenn Musikspiele in aller Munde waren, fehlte noch ein Vertreter, der auch an Heimkonsolen für großes Aufsehen sorgen würde. "Dance Dance Revolution" war mit seinen Ablegern bedeutend weniger erfolgreich und so brauchte es eine frische Neuerung, um Gamern das Genre schmackhaft zu machen. Dieser erschien mit einem Knall, als im Jahre 2005 das erste "Guitar Hero" die heimischen Verstärker durchbrennen ließ. Plötzlich waren rhythmische Games auf einem ganz neuen Beliebtheitslevel angelangt und so eroberte die Plastikgitarre für den Stubenrocker millionenfach die Wohnzimmer. Dabei konnten sich die Spieler über Online-Ranglisten miteinander messen. So entwickelte sich schnell eine lebhafte Internet-Community. Diese blieb auch den rasch aufeinanderfolgenden Ablegern Ende der 2000er treu.
Quelle: Lee Vending
Logischerweise war es da auch nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Offline-Turniere aus dem Boden sprießen sollten. Das Wettkampfsystem blieb dabei quasi unverändert. Es treten zwei Spieler in einem zufälligen Song gegeneinander an. Entscheidend für den Sieg ist dabei nicht die Anzahl der Fehler, sondern die Höchstpunktzahl. Seinen Zenit feierte diese Wettkampfkultur im Jahre 2008, als für ein einziges Guitar Hero 3 Tournament ein satter Preispool von 19.000$ ausgeschrieben wurde - alleine für den Erstplatzierten waren das 10.000$.Durch endlose Ableger und Nachfolger im Jahrestakt verlor Guitar Hero mehr und mehr an Ansehen - bis 2010 mit GH6 der bis vor kurzem letzte Teil erschien. Inwieweit Guitar Hero Live diese verlorene Anerkennung wiedererkennen kann, bleibt abzuwarten. Musikbegeisterte eSportler sollten trotzdem die Daumen drücken.
So gerieten Musikspiele langsam in Vergessenheit. Auch andere Franchises die auf den Zug aufgesprungen waren, verloren massiv an Bedeutung. Die großen Blockbuster dieses Genres waren nahezu ausgestorben. Glücklicherweise sollte aber bald ein lange Zeit unbekannter Titel an Bedeutung gewinnen. Bereits 2007 erschien eine erste frühe Version des Spieles "osu!". Praktisch über Nacht hatte der Entwickler namens 'peppy' in 16 Stunden Code-Zeit das Urkonstrukt "ouentest" zusammengebastelt. Auch wenn noch viele Features fehlten und der Look recht bieder war, konnte man die Ansätze des Spieles bereits gut erkennen. Über die Jahre wurde das anfangs so simple Game stetig verbessert, sodass es eine immer größere Fanbase anlockte und immer bekannter wurde.
Natürlich konnten Turniere nicht lang auf sich warten lassen und so gibt es seit 2012 jährlich stattfindene Worldtournaments in verschiedenen Disziplinen. Was viele nicht wissen: "osu!" bietet mehrere Spielmodi mit ganz eigenen Herausforderungen. Am bekanntesten ist natürlich das klassische "osu!". Auf dem Bildschirm auftauchende Kreise stellen den Beat dar und wollen rechtzeitig geklickt werden. Klingt einfach, aber mit steigender Geschwindigkeit und dutzenden Extramoves können Normalsterbliche nahezu unmöglich mithalten. Die zweite Disziplin hört auf den klingenden Namen 'Taiko' und imitiert ein Art Trommelspiel, bei der es neben dem Takt auch auf das Drücken der richtigen Tasten ankommt. Wenn man ein einfacheres System bevorzugt, sollte man 'Catch the Beat' probieren. Hier fängt man mit einer kleinen Figur die von oben fallenden Beats auf und rennt auf dem Bildschirm praktisch nur vor und zurück. Das klingt aber nur einfach, denn: die Geschwindigkeit machts. Zuletzt dürfen sich nostalgische Faulpelze noch in dem Keyboard-Pendant zu 'Dance Dance Revolution' messen. Die Pfeiltasten zur rechten Zeit zu drücken, sollte bei vielen ein gewisses Kribbeln in den Füßen zurückbringen - so erinnert die Optik doch sehr stark an das kultige Arcadespiel. Dass die Preisgelder für all diese Modi meist kaum vorhanden sind, tut dem Wettkampfgedanken aber keinen Abbruch. So messen sich auch heute noch abertausende in den Online-Ranglisten der offiziellen osu!-Website. Wer gerne Musik hört und etwas Taktgefühl besitzt, sollte sich das Spiel auf jeden Fall mal angucken.
Was nicht ist, kann ja noch werden!
Viele mögen sich fragen: Wo steuert das Genre hin? Wie immer ist eine Zukunftsaussicht äußerst schwierig. Einerseits ist das Marktpotential riesig und der Markt für Musikspiele ist weitestgehend unterrepräsentiert, aber das hat auch einen Grund. Das Potenzial ist zwar groß, aber die tatsächliche Menge an momentan interessierten Spielern ist recht überschaubar. In Zeiten von AAA-Games und gigantischen Free-to-Play-Titeln hat das Genre einen schweren Stand, da sich das Spielprinzip schnell erschöpft, wenn es nicht immer wieder Song-Nachschub gibt. "osu!" schafft es zwar mit dem unendlich erweiterbaren Titelpool bei Laune zu halten, aber die anspruchsvollen Mechaniken überzeugen langfristig nur wenige Spieler. Ein großer Titel, der entweder Innovationen bringt oder das Beste aus vergangenen Franchises vereint - das braucht das Genre.
Ob sich das Genre der Musikspiele zurück zu alter Beliebtheit kämpft oder weiter ein Schattendasein fristen wird, das bleibt wohl noch abzuwarten. "osu!" ist weiterhin relativ beliebt und mit Guitar Hero: Live könnte bald ein neues Zugpferd in Erscheinung treten. Wenn der Erfolg stimmt, könnte dies eine neue Welle solcher Titel nach sich ziehen - und das bringt frischen Wind ins Genre. Wenn das nicht passsiert, muss man wohl weiterhin auf Innovationen eines Indie-Entwicklers oder auf Ideen aus der Online-Community warten. Dass diese Ideen aus der Mitte der Spieler Großes ins Rollen bringen kann, wurde schon von verschiedensten Spielen gezeigt. Wer sich das Herz nimmt und Musikspiele zurück zu alter Größe führt, steht noch in den Sternen - aber alle Taktklicker und Plastikgitarrenspieler werden sehnlichst darauf warten.
Ich hab einmal Guitar Heroes und bin nicht klar gekommen und hab es gleich gelassen ^^
Ging mir ähnlich. Am Anfang drückt man halt nur irgendwie auf den Tasten rum. Die Motivation mich richtig in das Spiel reinzusteigern kam nie so wirklich auf^^'