Wir befinden uns im Jahre 2016. Die ganze koreanische MOBA-Szene ist von League of Legends besetzt... die ganze MOBA-Szene? Nein! Ein von unbeugsamen Dota-Spielern bevölkertes Team hört nicht auf, dem dominanten Spiel Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die gegnerischen Teams in China, Europa, Amerika und Südostasien...
Die fünf Unbeugsamen... (Bild: MVP-Twitter)
Dota 2 hat es nicht leicht in Korea. League of Legends dominiert den Markt im MOBA-Geschäft und hat die Stellung von StarCraft: Brood War als DAS Computerspiel eingenommen. Jeder kennt es, jeder spielt es. In den meisten PC-Bangs, den berühmten Internetcafés des Landes, ist das Spiel nicht einmal installiert. Das liegt zum Ersten daran, dass Steam keine solche Vormachtstellung im Spielemarkt besitzt, wie im Westen - in der Tat misstraut man Steam in Korea sogar ein bisschen. Und zum Zweiten kam man einfach zu spät: Als Dota 2 in Korea erschien war der Kampf um den Markt eigentlich schon entschieden, League of Legends bereits etabliert.
Die geringen Spielerzahlen für Dota 2 resultierten sogar darin, dass der Server des Landes geschlossen wurde. Koreanische Spieler müssen auf den chinesischen oder den South East Asia Server ausweichen. Die anfänglich existierenden Ligen für das Spiel verloren schnell ihre Sponsoren, als das Interesse hinter den Erwartungen zurück blieb. Valve und der koreanische Vermarktungspartner NEXON stießen auf eine Wand, die sie nicht durchdringen konnten. Dennoch hat sich eine hartnäckige Gruppe Spieler unter dem Banner des StarCraft 2-Teams MVP nicht unterkriegen lassen. Die beiden MVP-Squads Phoenix und HOT6ix haben einige der schwierigsten Trainingsbedingungen aller professionellen Dota 2-Teams weltweit.
So mussten die Spieler teilweise nachts in öffentlichen Saunen schlafen - in Korea eine kostengünstige Übernachtungsmöglichkeit, wenn auch nicht sonderlich bequem. Tagsüber trainierten sie in PC-Bangs. Seit der Schließung dieses Dienstes müssen die Teams Nachtschichten schieben: Von 16 bis 24 Uhr koreanischer Zeit ist der Ping zum chinesischen Server sehr schlecht, lagfreies Spielen unmöglich. Also spielt man mitten in der Nacht, von 1 bis 6 Uhr in der Ladder, wie MVP Phoenix-Mitglied Kim "QO" Seon Yeop erklärte. Am frühen Abend kann man vielleicht noch ein paar chinesische B-Teams erreichen, ansonsten wird am Tag ausgeruht, theoretisiert und in privaten Matches geübt.
Die überlegene Infrastruktur hat Korea in StarCraft und League of Legends mächtig gemacht. So mächtig, dass man in beiden Spielen künstliche Barrieren errichten musste, um Koreaner aus internationalen Turnieren fern zu halten. Doch Teamhäuser, Sponsoreninteresse und kulturelle Anerkennung existieren für Dota 2 nicht. Der Talentpool ist extrem klein und das Interesse von Sponsoren gering. In MVP Phoenix zeigt sich die wahre Stärke der Koreaner im eSport: Es ist kein genetischer Vorteil, sondern ein mentaler - absolute Willenskraft. Der Wille, selbst unter solch widrigen Umständen, sein ganzes Leben diesem Spiel zu widmen und seine Fähigkeiten zu verbessern. Auch wenn man dieses Attribut anderswo ebenso finden kann, so scheint es bei koreanischen eSportlern doch überdurchschnittlich oft vorzukommen. Man nimmt Konsequenzen und Probleme in Kauf. Man überwindet sie, weil man nichts weniger erreichen möchte, als den Sieg.
Wie sonst sollte dieses Team, welches aus einer Szene stammt, die nur zwei international wirklich beachteten Squads einen Lebensraum bieten kann, solche Erfolge erringen wie in der letzten Zeit? Die Top 4-Platzierung im Shanghai Major hätte eine Anomalie sein können. Doch die Dominanz im Dota Pit Season 4 Final war kein Zufall. Die Gegner von Evil Geniuses, den amtierenden TI-Siegern, leisteten Widerstand so gut sie konnten, doch am Ende fiel das derzeit beste Team der Welt mit einem 0:3-Score gegen die Koreaner. Und dabei waren die Spiele mehr als hochklassig - so etwa das erste Match: MVP hatten drei Fernkampf-Kasernen verloren, es drohte die Niederlage durch ein Baserace, sobald man ein falsches Manöver tätigen würde. Und doch blieb man im Spiel und leistete sich keinen Fehltritt. Man kämpfte sich zurück, Minute für Minute, Aktion für Aktion näherte sich der Gold-Graph wieder der Mitte, nachdem er von Spielbeginn an zugunsten von EG gestanden hatte.
QO und seine Teamkollegen Pyo "MP' Noh Ah, Lee "Forev" Sang Don, Kim "Febby" Yong Min und Kim "DuBu" Doo Young dürften in Korea niemals so viel Ruhm ernten, wie ihre Berufskollegen in League und StarCraft. Doch in Dota agieren sie als Botschafter ihres Landes, ihrer eSport-Kultur und ihrer Einstellungen - und diese Funktion erfüllen sie mit Bravour. Sie sind Idole für Werte, die die koreanische Kultur seit Jahrhunderten prägen. Es ist kein Wunder, dass der koreanische Kommentator Samqua nach dem Sieg von MVP Phoenix live auf seinem Stream Tränen vergoss und danach die südkoreanische Hymne abspielte. Die Szene mag klein sein, doch sie bringt ebenso viel Leidenschaft mit wie die größeren Communities.
Die Erfolge von MVP Phoenix werden leider wohl trotzdem nicht ausreichend sein, um Dota 2 in Korea wiederzubeleben - selbst ein Sieg im The International wäre dazu nicht genug. Doch sollten sie ausreichen, um MVPs Squads am Leben zu erhalten. Sie werden weiter für ihre Nation in die Schlacht ziehen und die Flagge Südkoreas hissen, auf dass auch die Dota-Community nicht vergisst, dass östlich von China ein Monster schläft, welches man besser niemals unterschätzt. What is dead may never die.
Kann MVP Phoenix die Dota 2-Szene in Korea vielleicht doch retten?