Smart Gaming: Sexistische Zocker

Gerade das fortschrittlichste Medium der Welt offenbart das Steinzeitdenken vieler seiner Nutzer. Sexismus bleibt ein Phänomen, für das vor allem die Gaming-Community anfällig ist.

Gerrit 30.04.16

Keine Bange: In diesem Artikel werden die Reizbegriffe "Gamergate", "Zoë Quinn", "Brianna Wu" und "Anita Sarkeesian" nur dieses einzige Mal erwähnt, zu dieser virtuellen #Aufschrei-Debatte ist alles Wichtige gesagt. Nein, hier wird es um die wirklich wichtigen Dinge im Leben gehen: Kleine Penisse. In dem Survival-Hit Rust der britischen Indie-Schmiede Facepunch Studios wird den Spielern seit Mitte 2015 die Größe ihres Gemächts vorgegeben - ein "soziales Experiment", so Game-Designer Garry Newman, das natürlich einen erwartbaren und wohl auch kalkulierten Shitstorm vor allem seitens der männlichen Spieler provozierte.

Sexismus

Sexismus ist für Gutmenschen wie für gesellschaftliche Neandertaler gleichermaßen ein Reizwort. Interessanterweise wird er von beiden Seiten genutzt, um die jeweilig andere Gruppe gesellschaftlich zu diffamieren - dazu später mehr. Von der Frauenrechtsbewegung der 1960er-Jahre geprägt, beschreibt er die Diskriminierung einer Person aufgrund ihres Geschlechts. Mittlerweile gilt als weitere zentrale Dimension des modernen Sexismus die (un-)bewusste Leugnung bestehender Diskriminierung von Frauen. Das kann eine systemische Benachteiligung, aber auch die Reduzierung der Frau auf körperliche Merkmale einschließen.

Wie würden weibliche Videospielfiguren mit einigermaßen realistischen Proportionen aussehen? bulimia.com hat einigen der Bekanntesten einer Schönheitskur unterzogen

Quelle: Bulimia.com

Sexismusdebatten haben die Welt der Videospiele längst erreicht, doch selbstverständlich sind nicht alle Gamer Sexisten. Angesichts der Tatsache, dass etwa 42 Prozent der Deutschen Computerspiele zocken, muss es statistisch unter diesen ca. 34 Millionen Menschen zwangsläufig einige Idioten geben. Ob nun schweigende Mehr-, oder lautstarke Minderheit, immer wieder offenbaren Gamer und auch professionelle eSportler ein äußerst rückständiges Weltbild. Der amerikanische Genderforscher CJ Pascoe untersuchte in seiner preisgekrönten Ethnographie "Dude, you are a fag" die Männlichkeits-Riten innerhalb von Fankulturen. Laut Pascoe sind insbesondere Subkulturen wie die von Starcraft 2 anfällig für Sexismus und Homophobie. Obwohl immer mehr Frauen ihre Begeisterung für eSport entdecken, ist er nach wie vor eine männliche Domäne. Der Anteil männlicher eSport-Fans wird aktuell auf 90 bis 94 Prozent geschätzt. Ein Ereignis rund um den SC2-Profispieler Mihaylo "Kas" Hayda veranschaulicht Pascoes Ansatz. Ende 2014 kündigte der Ukrainer im Rahmen der Fragbite Master Season 3 vor seinem Match gegen Madeleine "MaddeLisk" Leander per Twitter an, er werde "gleich irgendein Mädchen vergewaltigen". Im Anschluss gewann er 2-0 gegen die Schwedin, wurde aber aufgrund des Tweets nachträglich disqualifiziert.

Victim Blaming

Nachdem die Disqualifikation von Kas bekannt wurde, überzogen eSport-Fans Madeleine "MaddeLisk" Leander in sozialen Netzwerken mit zahlreichen Anfeindungen. Ihr wurde eine bevorzugte Behandlung aufgrund ihres Geschlechts vorgeworfen. Sie nutze die Affäre, weil sie sportlich keine Chance gegen Kas hätte. "Die eine Seite war der Meinung, dass der Spieler etwas falsch gemacht hat, aber die andere Seite sah es so, dass er lediglich witzig sein wollte und ich keinen Humor habe. Ich bekam hunderte Nachrichten von Leuten, die sich wünschen, dass ich vergewaltigt werde oder dass ich sterbe. Ich hätte nichts in der Gaming-Szene verloren", erklärt Leander. In seinem Buch "Narcissistic Blame Game - The Guilt of Others" bezeichnete Sam Vaknin dieses Phänomen der Täter-Opfer-Umkehr oder Victim Blaming als Strategie, Personen Schuldgefühle zu suggerieren, um sie davon abzuhalten, die Vormachtstellung der Täter in Frage zu stellen. Das Kuriose: MaddeLisk hatte von der Disqualifikation und dem Grund erst nachträglich erfahren und die Disqualifikation Kas' zu keinem Zeitpunkt aktiv eingefordert. Trotzdem wurde sie anschließend von Teilen der Community zum Sündenbock gestempelt.

Überkompensation

Unterstützer von Kas verweisen häufig darauf, dass der Begriff "rape" in diesem Zusammenhang ein gebräuchlicher Begriff sei, seinen Gegner zu demontieren und keine sexuellen oder gar sexistischen Untertöne besäße. Ähnlich wie das deutsche Wort "geil", das von seiner sexuellen Bedeutung weitgehend entkoppelt wurde. Was zunächst halbwegs plausibel klingt, bestätigt aber gleichzeitig unfreiwillig Pascoes Thesen über sexistische Subkulturen. „Junge Männer werfen sich gegenseitig sexistische und homophobe Attribute an den Kopf, um sich daran zu erinnern, was es bedeutet, ein echter Mann zu sein", so Pascoe. Die Gesellschaft bringe Männern nach wie vor ein traditionelles Bild von Männlichkeit bei, das verlangt „emotionslos, heterosexuell, wetteifernd und dominant zu sein." Um zu beweisen, dass sie „echte" Männer sind, müssten Jungs zuerst deutlich machen, dass sie keine „Schwuchteln" sind — ein Begriff, der sich, wie Pascoe sagt, sowohl auf die Schwäche, als auch auf die Sexualität bezieht. In einem zweiten Schritt müssten Männer beweisen, dass sie heterosexuell sind und „eine Frau körperlich dominieren können". Wo wir wieder bei Mihaylo "Kas" Haydas' seltsamer Vorstellung von Humor sind. Im Vergleich zu anderen eSport-Disziplinen wie Counter-Strike oder FIFA, in denen Spieler und Fans häufiger klassische Vorstellungen von Männlichkeit präsentieren, bedienen Starcraft-2-Fans eher eine intellektuellere Form von Männlichkeit, die vor allem in der jüngsten Geschichte als eher unmännlich empfunden wird.

CS:GO-Profi C9freakazoid zeigt der Welt seine Vorstellung von Männlichkeit

Quelle: twitter

Pascoes These ist, dass paradoxerweise gerade solche intellektuelleren Männer eher dazu neigen, eine sexistische Weltanschauung zu artikulieren: „Sie haben in vielerlei Hinsicht Probleme damit, sich an den dominanten Verhaltensweisen, die wir von jungen Männern erwarten, zu beteiligen." Der Frustfaktor ist bei solchen männlich geprägten Fankulturen, denen die Gesellschaft „ihren Anspruch auf Männlichkeit zurückweist" ungleich größer, so Pascoe. „In Fankulturen — in denen sich Männer sammeln, denen der traditionelle Weg zu stereotyper Männlichkeit verweigert wurde — scheinen Gleichberechtigung und die Sichtbarkeit von Frauen und homosexuellen Menschen und Charakteren eine Bedrohung für die Sphäre darzustellen, in der sie dominant sein können und ihre Männlichkeit anerkannt wird." Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die SC2-Profi-Spielerin Sasha "Scarlett" Hostyn, deren offen gelebte Transsexualität innerhalb der Community immer wieder Gegenstand von Diskussionen ist. Neben diffamierenden Witzen offenbaren vor allem jene Kommentare das neandertalergleiche Weltbild der Fans - nach deren verquerer Logik ihr enormer Skill nur durch ihre Vergangenheit als Mann zu erklären sei.

MännerRechtsaktivismus

Ein gängiger Reflex gegen den vermeintlichen Genderwahnsinn besteht darin, auf Benachteiligung von Männern oder Sexismus gegen Männer hinzuweisen. „In vielerlei Hinsicht weisen Männerrechtsaktivisten auf dieselben Probleme hin wie diejenigen, die sich mit geschlechtsspezifischen Ungleichheiten befassen: Dass die gegenwärtigen Sozialisationsmechanismen für junge Männer zutiefst problematisch sind und ihren Tribut von jungen Männern fordern", sagt Pascoe. „Ihr Fehler ist allerdings, dass sie Gleichberechtigung für ein Nullsummenspiel halten, bei dem sie als Männer verlieren, wenn Frauen, Transsexuelle und die LGBTQ-Szene profitieren." Tatsächlich würden alle Seiten profitieren, besonders männlich dominierte Subkulturen wie Starcraft 2, deren Anhänger überdurchschnittlich oft intellektuelle statt traditionelle Formen von Männlichkeit bedienen. „Die zunehmende Gleichstellung der Geschlechter kommt auch Männern zugute, da diese Form der Gleichberechtigung bedeutet, dass sich auch die Rolle des emotionslosen, heterosexuellen und dominanten Mannes ändern muss", so Pascoe.

Be a smarter Gamer

Solange Starcraft-2-Spieler stereotype Männer- und Frauenbilder als epische Geschichten abfeiern und sich Spieler von Survivalgames über die Größe ihres Geschlechtsteils definieren, ist die Debatte um Sexismus und falsch verstandener Männlichkeit notwendig. Soziale Verantwortung im Internet ist ein Thema der Bonjwa-Initiative Smart Gaming, mit der wir neben gesundheitlichen Aspekten auch das Phänomen des Sexismus beleuchten wollen. Oder, um es mit den Worten der wunderbaren Lilian Chen zu sagen: "Jeder hier hat eine Stimme. Wir müssen sie einsetzen. Und wir müssen sie verantwortungsvoll einsetzen. Du allein kannst vielleicht keinen Wandel bewirken. Aber du kannst andere dazu inspirieren, einen Wandel mitzugestalten."

Den nächsten Schock muss die Rust-Community übrigens ganz aktuell verdauen. Seit Mitte April können Spieler nicht mehr das Geschlecht ihres Avatars frei bestimmen, werden unter Umständen also gezwungen, das Spiel als Frau zu bestreiten - Beschwerden, vor allem aus Teilen der männlichen Community, folgten postwendend, trotzdem hat diese neue und marketingwirksame Stufe des sozialen Experiments die Spielerzahlen von Rust innerhalb weniger Tage um 74 Prozent gesteigert - möglicherweise sind sexistische Zocker also tatsächlich nur eine laute Minderheit.

Sind Gamer besonders anfällig für Sexismus - was denkt Ihr?

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Autor: Gerrit

Starcraft-Fanboy der ersten Generation, der trotzdem nie über die Platinliga hinausgekommen ist... aber inzwischen wunderbar damit leben kann. Ich suchte Sport und eSport und interessiere mich vor allem für die Wechselwirkungen zwischen beiden.

1. Mai 2016 - 5:28
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jume
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08.05.2016 - 02:22
27.02.15
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Wow, nice read! Gut formuliert. Zur Frage, nein glaube ich nicht.

1. Mai 2016 - 9:03
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Lorgi
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05.09.2018 - 18:51
26.04.16
172

Sehr guter Artikel!

Ich bin der Meinung, dass nicht Gamer sondern einfach "Idioten" anfällig für Sexismus sind. Mit Idioten meine ich Menschen, die nicht über ihren eigenen Tellerand hinausblicken und sich weigern einen Blick auf ein größeres Ganzes zu riskieren. Da können sie noch so viel analytische Intelligenz mitbringen; wenn die soziale Intelligenz auf der Strecke bleibt, bleiben sie in ihrem beschränkten Weltbild stecken. D.h. dass auch (Pro-)gamer, die ja zweifelsohne (analytisch und motorisch) intelligent sein müssen dennoch solche sozialen "Idioten" sein können, aber ohne dass dies in irgendeiner Weise gekoppelt ist.

1. Mai 2016 - 10:50
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YipKaiMan
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01.05.2016 - 22:17
31.01.16
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Ein sehr, Sehr schöner Text. Die angegebenen Studien werde ich gleich noch ausführlich lesen, scheinen ja sehr treffsicher ein Phänomen zu beschreiben, wenn nicht erklären. @Lorgi Ich finde es zwar gut, hier durchaus intellektuelle Fähigkeiten einzubringen, Allerdings kann sich selbst der empathischste Mensch der Welt nicht gegen seine Erziehung und Sozialisation durchsetzen. Dazu gehören nämlich eher reflexive Fähigkeiten, Selbstsicherheit und ein gewisser Erfahrungsschatz - Dinge, die meist erst später kommen, wenn überhaupt. Die Schuld ist also nicht allein bei den "Idioten" zu suchen, sondern bei der Struktur, die eben jene Idioten ermöglicht, bzw. nicht bestraft.
1. Mai 2016 - 10:59
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Honor
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17.10.2018 - 12:40
15.11.13
505

Gestern passend zum Thema die Doku "Miss Representation" gesehen. Steigt noch weiter in die gesellschaftlichen Strukturen von Mann und Frau und die Rolle der Medien dabei ein.

1. Mai 2016 - 17:43
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Lorgi
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05.09.2018 - 18:51
26.04.16
172

@YipKaiMan

Natürlich kann man nichts für seine Erziehung bzw. die frühen gesellschaftlichen Einflüsse, die einen prägen. Allerdings leben wir, die wir in der ersten Welt leben, in einer Gesellschaft, in der Aufklärung und ethische Grundsätze groß geschrieben werden. Wenn ich heutzutage jemanden erlebe, der in seinen Mittzwanzigern (d.h. nach der Pubertät) immernoch solch engstirnige Ansichten hat, scheint dieser sich den modernen gesellschaftlichen Normen zu verschließen und in seinem Schubladendenken zu verweilen.

Kritisches Denken und Selbstreflexion sollte jeder zu einem gewissen Maß besitzen, sonst wird er ein stumpfes Abbild seines Umfelds sein. Jemand der aus seinem Elternhaus oder von frühen sozialen Kontakten sexistische Ansichten gelehrt bekommen hat, sollte spätestens wenn er merkt, dass es starke Gegenansichten gibt, diese aber auch seine eigenen Ansichten kritisch betrachten und dann entsprechend ändern.

NUR zu sagen "Ich hab recht, weil ich das damals so gelernt hab!" ist für mich ein Zeichen mangelnder Intelligenz. Wenn jemand in der Lage sein sollte, seine Ansicht nach eingehender Reflexion entsprechend zu verteidigen ist das etwas anderes, allerdings ist das in diesem Falle des Sexismus denke ich nicht wirklich möglich.

TL:DR Einflüsse des sozialen Umfeldes sind natürlich die Grundlage, allerdings ist mangelnde Selbstreflexion und kritisches Denken das, was dem Individuum allein zuzurechnen ist, und für mich o.g. "Idioten" ausmacht.

Ich habe gerade mal geggolet, falls es jemanden interessiert: Auf DocumentaryLovers kann man MissRepresentation anscheinend online schauen. Ich hoffe, dass das auch rechtens ist. :O

1. Mai 2016 - 21:41
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YipKaiMan
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01.05.2016 - 22:17
31.01.16
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@Lorgi

Natürlich, das sind Fähigkeiten, die man heute einem erwachsenen Menschen zuschreiben können sollte. Ist leider nicht immer gegeben und leider auch manchmal sehr schwer, soziale Wirkungen zu bemerken und gegenzusteuern ohne das entsprechende Umfeld (damit möchte ich nicht jene "Idioten" in Schutz, mich nur selber nicht in der Argumentation zu einem machen :D ).

2. Mai 2016 - 8:13
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Lorgi
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05.09.2018 - 18:51
26.04.16
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@YipKaiMan Das ist ganz allgemein natürlich wahr :P Deshalb gebe ich dir auch dahin Recht, dass man das entsprechende Bewusstsein in der öffentlichen Wahrnehmung stärken muss; d.h. fördern muss, dass z.B. unpassendes Alpha-Tier-Gehabe gar nicht erst "attraktiv" wird (eine Rolle, die männlichen Jugendlichen leider immernoch als Entwicklungsziel vermittelt wird).

Wenn mehr Leute, insbesondere auch schon junge, in einem Umfeld leben, dass (Selbst-)Kritik kultiviert und Stereotypen bekämpft, wäre das alles wahrscheinlich nicht mal ein Thema. Aber die Medien und Marketingabteilungen vermitteln ja leider penetrant etwas anderes (z.B. rosarote Ü-Eier mit Feen und Prinzessinnen für Mädchen, mit Schminke als Spielzeug o.ä.). Das ganze Mediensystem ist im Prinzip sich selbst bedienend: Es wird gemacht, weil es Geld bringt, und es bringt Geld weil dadurch die Jugend mit entsprechendem Gedankengut aufwächst. Je mehr Medien die Jugendlichen konsumieren (allen voran das Fernsehen) und plus die umgebenden sozialen Einflüsse, desto stärker wird der Stereotyp im Kind/Jugendlichen verankert.

Das alles ist in der Doku, die Niklas erwähnt hat, gut aufbereitet. Extrem angsteinflößend, meiner Meinung nach.

2. Mai 2016 - 14:11
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DERASTAT
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25.07.2016 - 19:50
03.01.14
127

Danke für den Artikel