Supply-Punkte: Kaum beachtet und (doch) spielentscheidend

In jedem RTS Game müssen wir Häuser bauen, um mehr Armee rekrutieren zu dürfen. Warum ist das so?

Marc | Samosis 29.05.16

Ein Schwall Zerglinge strömt die Rampe zu meiner Basis hoch und nagt den Nexus an. Anstatt jedoch heldenhafte Krieger aus Aiur hereinzuwarpen, ertönt nur eine Stimme: "You must construct additional pylons". Hilflos sehe ich zu, wie der Nexus zerstört wird und alle meine Probes fallen. Ein weiterer verlorener Planet für die Protoss, nur weil der Anführer nicht genügend Betten für seine Armee aufgestellt hat. Wofür gibt es in Starcraft 2 überhaupt so etwas triviales wie Supply Depots, Overlords und Pylone? Das Spiel hat niemals den Anspruch, realistisch zu sein, warum werden Spieler dann ausgerechnet dazu gezwungen, immer genügend "Häuser" für ihre Truppen zu bauen? Eine berechtigte Frage, schließlich existiert dieses Prinzip nicht erst seit Legacy of the Void.

Geschichte

Ob man sie Overlords, Mondbrunnen oder einfach nur Häuser nennt, zu finden sind sie in jedem RTS Game. Immer gibt es dieses eine Gebäude, welches das Wachsen unserer Armee verhindert. Hütten sind neben dem klassischem Haupthaus die wohl am häufigsten vorkommenden Gebäude in der Welt der Strategiespiele und werden oft übersehen. Das liegt zum Großteil an ihrer wenig spektakulären Funktion: Sie müssen regelmäßig errichtet werden, damit mehr Einheiten rekrutiert werden können. Vorhanden waren sie allerdings schon in den ersten Games dieses Genres. In Blizzards erstem RTS Game Warcraft: Orcs & Humans werden Farmen benötigt, um weitere Krieger auszubilden, eine Tradition, die sich bis zu Legacy of the Void fortsetzen sollte. Das 1992 erschienene Dune II geht einen etwas anderen Weg: In diesem Spiel muss für jedes Gebäude die notwendige Stromversorgung sichergestellt werden. Es wird also nicht die Armee, sondern die Anzahl der Gebäude limitiert. Eine ähnliche Mechanik gab es auch beim Urvater der C&C Reihe Command and Conquer: Tiberian Dawn. Wer mehr Gebäude will, muss in Kraftwerke investieren.

Quelle: Bonjwa

Limitierung der Armee

Supply kann also nicht nur Armee, sondern auch Infrastrukur und damit ebenfalls Tech beschränken. In Starcraft 2, wo die Größe der Armee nicht nur vom Einkommen abhängt, wird dadurch das Cheesen erschwert. Man stelle sich ein TvT vor, in welchem Spieler A sehr viele frühe Reaper baut und Spieler B diese mit Hellions verteidigen möchte. Damit Spieler B die Reaper verteidigen kann, braucht er vor allem Zeit, um in einen höheren Tech investieren zu können. Beispielsweise eine Factory für Hellions. Sein Gegner will nur Units bauen, wird aber gezwungen, Supply Depots zu errichten. Dies kostet Zeit und Mineralien, welche Spieler B in den benötigten Tech investieren kann. So erhält der Makrospieler einen Vorteil. Natürlich muss Spieler B auch eigene Supply Depots bauen, allerdings braucht er nicht so viele Einheiten, da er den Counter für die Reaper hat. Noch deutlicher käme dieser Effekt zum Tragen, wenn Versorgungsgebäude 1.000 Mineralien kosten würden und 10:00 Minuten Bauzeit hätten. In einem solchen Szenario hätten beide Spieler genügend Zeit, um Infrastruktur für jede Einheit ihrer Wahl zu bauen. Im normalen Spiel sind es nicht die 100 Mineralien, welche frühe Angriffe so viel riskanter machen, sondern vielmehr die Zeit, die der Agressor verliert. Zeit, in welcher der Verteidiger Mineralien fördert, Infrastruktur errichtet und Upgrades erforscht. Das Ganze funktioniert wie eine "no rush"-Regel, nur dass sie nicht so stark ins Spielgeschehen eingreift. In ein Makrogame zu kommen, ist auf diese Weise viel einfacher. In einem Starcraft 2 ohne Versorgung würden sich Makrogames viel seltener entwickeln, da frühe Angriffe ungleich effektiver wären.

Der Psionic Blast in Command & Conquer 3: Red Alert - Quelle: Bonjwa

Limitierung von Technologie

Wenn eine Mechanik ins Spiel integriert wird, die Gebäude limitiert, erhalten wir einen gegenteiligen Effekt. Es wird verhindert, dass die Spieler zu schnell übermächtigen Tech erforschen, der erst für das Endgame vorgesehen ist. Da das Ökosystem in C&C ganz anders als in Starcraft 2 funktioniert, ist es dort nötig, einen "Tech-Rush" zu verhindern. Weil die ersten Einheiten nicht wie in Starcraft 2 das ganze Spiel über nützlich sind, werden diese von Spielern gerne übersprungen. Wer schnell Panzer bauen kann, braucht keine Infanterie. Damit es trotzdem so etwas wie ein Early-Game gibt, wird es etwas schwieriger gemacht, höherklassige Units zu produzieren. Natürlich dürfen diese Hürden nicht so groß sein, dass sie das Makrogame verhindern. Wenn die Entwickler eine Art "Tech-Cap" einführen, müssen sie aufpassen, dass frühe Angriffe nicht zu stark werden.

Versorgung im Allgemeinen ist also eine Möglichkeit der Entwickler, das schnelle Erforschen von Technologie zu erleichtern oder zu erschweren. In C&C gibt diese Mechanik den früheren Einheiten mehr Präsenz im Spiel, bevor diese nutzlos werden. Bei Starcraft 2 wird die Armee limitiert, um das Makrogame zu fördern. Dieses Prinzip der Limitierung ist in vielen Aufbauspielen zu finden, nicht nur in klassischen RTS Games. Zufriedenheit bei Civilization oder Nahrung in der Total War-Reihe bewirken Ähnliches. In all diesen Spielen gibt es eigene "Supply Depots". Offenbar sind diese zwingend nötig, um die Übermacht von Technologie oder frühen Angriffen einzugrenzen. Häuser und Kraftwerke sind da, um aggressive und defensive Spielweisen auszubalancieren, nicht um Spieler in der Ladder zu ärgern. Auch wenn es frustrierend ist, wegen eines Supply Blocks zu verlieren, sind sie doch eine elementarer Bestandteil im Design von Strategiespielen.

Was haltet Ihr vom Prinzip der Versorgungsgebäude? Unnötiges Überbleibsel vergangener Tage oder wesenlicher Bestandteil eines funktionierenden RTS Games?

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Autor: Marc | Samosis

Grandmaster Terran, mehrmaliger Gewinner der GSL und Retter der Welt. Als dann der Wecker klingelte und ich aufgewacht bin, war ich wieder nur Geschichtsstudent in Düsseldorf, aber das ist auch ganz in Ordnung. Mag alles von Strategie- bis Rennspielen, bin außerdem ganz der Geschäftsmann. Beim richtigen Preis <könnte hier Ihre Werbung stehen!>

30. Mai 2016 - 1:09
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Lavidine
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02.03.2018 - 18:03
07.03.15
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Fantastischer Beitrag, hat wirklich Spaß gemacht zu lesen.

30. Mai 2016 - 9:32
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Lorgi
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05.09.2018 - 18:51
26.04.16
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Ich bin etwas unsicher. Zuerst neigte ich dazu, deinem Beitrag recht zu geben, andererseits ist es aber doch (bei SC2) so:

Jeder Supply-Generator kostet 100 Mins und brauch ungefähr 20 Sekunden zum Bau. Das Supply das generiert wird, wird auf eine bestimmte Weise benutzt, ob Worker oder Army. Spieler, die früh aggressiv werden brauchen Supply für die Army, Spieler, die makron brauchen es für Worker und für etwas Army zum Deffen. Ich glaube nicht, dass Spiele ohne Supply nur in Early-Aggression enden würden, da das Prinzip des Makros ja trotzdem noch greift: Wer mehr Income hat kann mehr Army pumpen.

Ohne Supply sähe es doch so aus:

Mit z.B. 400 Mins kann man acht Worker oder acht Marines oder vier Zealots bauen.

Mit Supply:

Mit z.B. 500 Mins kann man einen Supply-Generator und acht Worker oder acht Marines oder vier Zealots bauen.

Beides ist gleichwertig, nur dass letzteres Szenario minimal mehr Zeit benötigt, sowohl für den Makro- als auch für den Aggressive-Spieler.

Ich glaube also nicht, dass das Supply-Prinzip das Makro-Game schützt, da man ja anstatt Army permanent Worker pumpen kann. Also ja, ich finde Supply auf eine bestimmte Art überflüssig, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. ABER man mus natürlich im Auge behalten, dass es eine taktische Schwachstelle bietet. Wenn ein Protoss mit seinen Phoenixen Overlords snipen geht, kann der Zerg sehr schnell im Supply-block enden, was ihn stark behindert. Zudem ist der Supply-Block denke ich eine Mechanik, die es zu meistern gilt, also ein Part des Skill-Ceilings (insbesondere oder eigentlich nur für kleinere Ligen und Anfänger).

Da Blizzard aber natürlich awesome ist, haben sie darauf geachtet, dass jedes Supply-Gebäude seit Starcraft 1 (bzw. WC3) noch eine Zusatzfunktion erfüllt. Mondbrunnen (Regenration), Orc-Baue (Bunker), Ziggurats (Tower), Pylons (Psi-Matrix), Supply-Depots (Walling), Overlords (Scouting/Transport) etc. Das macht die Supply-Mechanik in diesen Spielen nicht ganz so redundant.

30. Mai 2016 - 12:48
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Samosis
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06.06.2017 - 19:02
06.01.14
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Hi Lorgi,

danke für dein Feedback. Natürlich hast du Recht, auf den ersten Blick gesehen macht die Supply-Mechanik keinen allzu großen Unterschied. Trotzdem verschiebt sie die Balance des Spiels etwas zum Vorteil des Makrospielers. Ein Depot zu bauen, ist für den Aggressor wirklich nicht so tragisch, wenn ich aber ein Timing (8-Gate) spiele und alle paar Sekunden 16 Supply mehr habe (8 Stalker), dann tut das schon weh. Jeder Warpin wird dann 200 Mineralien teuer und ich muss 20 Sekunden vorher daran denken. Beachte außerdem, dass Spieler die auf Wirtschaft gehen, sich weniger um Versorgung kümmern müssen, da ein zweites „Haupthaus“ auch Versorgung gibt. Ich persönlich denke, dass im Moment ein Cheeser und ein Makrospieler ungefähr die gleiche Chance haben ein Spiel zu gewinnen (Maps und Meta mal außen vor gelassen). Und das liegt eben auch an der Mechanik der Versorgung. Starcraft 2 ist ein extrem kompetitives Spiel, alles in einer sehr fragilen Balance. Ich glaube, dass Spieler wie Bly oder andere Pros unter nur leicht günstigeren Bedingungen sehr viel öfter Cheese spielen würden, einfach weil sie damit höhere Chancen haben zu gewinnen. Als der Schaden des Adepts um 1 verringert wurde, hatte dies auch riesige Auswirkungen auf das Spiel, im eSport zählt jede Sekunde und jede Mineralie.

Ob Supply-Blocks ein bewusster Part des Skill-Ceilings sind, glaube ich seit LotV nicht mehr. Makro ist für die meisten Zuschauern eher langweilig, es wurde ja sogar versucht Mules, Chronoboost und Injects abzuschaffen, das hätte man mit Supply Depots sicher auch gerne getan. Wie du schon erwähnt hast, sind aber Plyonen, Overlords und Supply Depots schon so wichtig geworden, dass sie vielleicht auch aus anderen Gründen nicht mehr abzuschaffen sind. Terraner brauchen ihre Wall, Protoss benutzen Plyonen als Abwehrtürme und bei den Zergs sind Overlords für Drops und Scouting zuständig. Blizzard hat mehrere Funktionen in diesen Gebäuden/Units vereint, einfach um sie nicht allzu langweilig zu machen. Trotzdem glaube ich, dass ihre Hauptfunktion immer noch die Ausbalancierung des Spiels ist. Versorgungsgebäude kosten nur wenig und man braucht nicht lange um sie zu bauen, aber wenn Starcraft 2 Pros irgendwo einen kleinen Vorteil erspähen, versuchen sie diesen in der Regel immer so stark wir möglich auszunutzen.

30. Mai 2016 - 16:35
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Lorgi
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05.09.2018 - 18:51
26.04.16
172

Hm deine Argumentation klingt auch wieder schlüssig. Ich glaube es wäre mal ein nettes Experiment, ein Turnier zu spielen, in dem es kein Supply gibt (die Obergrenze von 200 natürlich immer noch). Einfach um zu schauen, was die Pros daraus machen.

30. Mai 2016 - 17:23
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Samosis
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06.06.2017 - 19:02
06.01.14
18

Das würde mich auch interessieren. Wenn dann wirklich alle nur noch cheesen, könnte man das Spiel auch so verändern, dass Versorgungsgebäude +16 statt +8 Supply bringen. Die Kosten müsste man natürlich auch anpassen. Der Effekt für das Spiel wäre ähnlich, wenn auch nicht ganz so stark, Spieler müssten dann weniger auf ihr Makro achten. Das könnte dem Mikro zugute kommen, und für die Zuschauer spannendere Spiele bringen.

3. Juni 2016 - 15:33
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Nordsee
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04.05.2017 - 19:57
21.08.15
42
Was hier noch nicht beachtet wurde ist der Fakt, dass die Supply Generatoren hauptsächlich/nur die ersten Units verteuern und dadurch verzögern. Das bedeutet, dass die Units, die bei einem Push oder bei der Verteidigung verloren wurden, billiger bzw. schneller nachgebaut werden können. Das bringt etwas Stabilität ins Spiel. Bei gleichem verfügbarem Supply unterstützt das den Spieler der Units verloren hat, denn dieser kann schneller seine Army wieder aufbauen als der Angreifer seine Army weiter ausbauen kann. Guter Artikel. Erst durch diese Gedanken wird klar, wie komplex das Thema ist.